Philipp Christopher steht nicht nur als Schauspieler vor der Kamera, sondern ist auch noch selbst Regisseur und Filmproduzent. Neben aktuellen Projekten, wie z.B. einer Netflix-Doku und seiner eigenen Serie „My Love“ sprachen wir mit dem gebürtigen Berliner auch über seine Zeit in New York, darüber, wie es für ihn war, in die Heimat zurückzukehren und welche großen Unterschiede er zwischen dem deutschen und amerikanischen Fernsehen und Theater sieht.
Ajouré: Du bist mit 18 nach New York gezogen, wo du an der School of Visual Arts studiert hast. Scheint, als wusstest du schon im jungen Alter ganz genau, was du willst …
Philipp: Ja. Ich habe das relativ früh erkannt. Und auch meine Liebe zu New York. Ich war mit 15 das erste Mal dort und bin im Regen und Sturm den Broadway heruntergelaufen. Es war die spannendste Stadt, die ich bis dato erlebt hatte. Ich wollte dort unbedingt leben und Film studieren, wobei das Schauspiel bei mir zu dem Zeitpunkt noch eine verkappte Leidenschaft war. Auf dem Gymnasium hatte ich zwar viel Theater gespielt, aber ich habe es mir nie öffentlich zugestanden, wie sehr ich das Schauspiel liebe. Mein ganzes Umfeld und meine Familie kamen nicht aus einem künstlerischen Bereich, und dennoch haben mich meine Eltern auf meinem Weg voll unterstützt. Auf dem College in New York bin ich dann dem Schauspiel wieder nähergekommen und fahre seither zweigleisig – hinter und vor der Kamera.
Ajouré: Wie war das damals so für dich, nach Amerika zu gehen? Bist du alleine nach NYC gezogen?
Philipp: Ja, ich bin alleine nach New York gezogen. Es war natürlich spannend, denn man wird mit etlichen neuen Dingen bombardiert und auch mit einer anderen Kultur. Die Beziehung zu meiner damaligen Freundin hat diesen Umzug jedoch nicht überstanden, denn wir waren noch sehr jung und „long distance“ war einfach zu viel „distance“. Ich habe natürlich vieles an Berlin vermisst, am meisten meine Familie und Freunde, aber man wird als Neuling in New York viel abgelenkt. Es hat nicht lange gedauert mich einzugliedern – ich glaube, das kann ich ganz gut und es war auch eines meiner Voraussetzungen: Ich wollte die New Yorker Kultur aufsaugen, sie verstehen und sie so gut es geht leben. Die meisten Menschen dort sahen mich schnell als Amerikaner und nicht als Deutschen, was auch durch mein akzentfreies Sprechen unterstützt wurde. Im Nachhinein muss ich jedoch feststellen, dass ich manchmal meine eigene Kultur zu sehr in den Hintergrund gestellt hatte. Man darf nie vergessen, wo man herkommt, denn nur so bleibt man authentisch.
Ajouré: Du hast dann auch noch lange Zeit dort gelebt und warst auch als Schauspieler tätig. Was ist dir von der Zeit noch am lebhaftesten in Erinnerung?
Philipp: Das Beste sind die Höhen und Tiefen, die diese Stadt bietet. Man spielt in dem kleinsten Theater der Welt, dem sogenannten „Black Box Theater“ und plötzlich in einem ganz großen. Man arbeitet an einem super Low-Budget-Film und steht kurz darauf mit Clive Owen vor der Kamera. Die Kontraste sind Wahnsinn und ich empfinde nicht das eine besser als das andere, sondern alles gehört irgendwie dazu. Man steigt und fällt ständig, das ist ein Prozess, der in New York nochmal viel schneller geht als in anderen Städten dieser Welt.
Ajouré: Dort ist dann wahrscheinlich auch deine Liebe zum Theater und Broadway entstanden … Was ist dein liebstes Stück?
Philipp: Ich liebe Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ und habe selbst auch schon an Stanley Kowalski gearbeitet. In New York durfte ich dieses Stück mit der grandiosen Cate Blanchett als Blanche DuBois sehen. Ich saß dort in der ersten Reihe und war Teil der längsten „Standing Ovation“, die ich im Theater je erleben durfte. Andere Stücke wie „Doubt“ von John Patrick Shanley und „God Of Carnage“ mit Jeff Daniels und dem schon verstorbenen James Gandolfini waren auch einige der Highlights. Theater wird in New York natürlich ganz großgeschrieben und es ist das, was ich heute am meisten an New York vermisse. Das deutsche Theater ist bekannt für seinen experimentellen Ansatz, was wiederum in Amerika etwas fehlt. Dennoch wünschte ich auch, wir würden uns wieder ein bisschen auf das Fundament des Theaters, die zeitlose, menschliche und tiefe Darbietung, konzentrieren, die immer wieder das Publikum berührt.
Ajouré: Was hat dich schließlich zurück nach Deutschland geführt?
Philipp: Ich kann es nicht vermeiden, hier auch ein bisschen politisch zu werden (lacht). Ich habe schon vor Jahren zu meiner Frau gesagt, dass die USA das Land „ohne Veränderungen“ ist. Das klingt erst einmal banal, aber ist im politischen System verankert. Dass heute ein Populist Präsident ist, verwundert mich nicht, denn seit Jahrzehnten repräsentiert keine Partei den Willen des Volkes mehr. Ich habe es an dem Wandel in New York erlebt, in dem Geld die absolute Macht übernommen hat und soziale Gerechtigkeit im Keim erstickt wird. Nun kann natürlich behauptet werden, dass dieser Prozess überall stattfindet und dem würde ich sogar zustimmen, aber wir sind weit von dem entfernt, was in Amerika zur steinernen Wirklichkeit geworden ist. Ich und meine Frau waren sozusagen „aus-NewYorked“ und brauchten einen Tapetenwechsel. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade „Blood Ties“ abgedreht und es kam eine Anfrage aus Deutschland für eine Hauptrolle bei GZSZ. Es schien damals alles auf einmal zusammenzukommen und ich höre gerne auf das Universum, wenn es mir dann einfach den Weg weist. Ich machte also ein e-Casting aus New York, wurde daraufhin ins Studio nach Berlin eingeladen und bekam die Rolle. Es war also Arbeit, Familie und auch ein politisch kompliziertes Land, was meine Rückkehr nach Berlin besiegelte.
Ajouré: Deine Frau Michelle ist Amerikanerin und ebenfalls Schauspielerin, gemeinsam habt ihr einen Sohn. Wie sieht euer Alltag aus?
Philipp: Morgens wird gemeinsam gefrühstückt und dann bringe ich unseren Sohn in die Kita und meine Frau holt ihn meistens ab. Neben dem Schauspiel haben wir ja auch eine Firma für Film-Produktion und haben in diesem Jahr unser FilmGym Büro in Berlin eröffnet. Dort verbringe ich dann die meiste Zeit des Tages, bis ich dann abends wieder mit der Familie zusammenkomme und wir beide den Kleinen ins Bett bringen. Der Tagesablauf ist also relativ geregelt und ändert sich oft schlagartig, wenn ich drehe. Aber wir sind darauf vorbereitet und meine Frau, die ja auch Schauspielerin ist, kennt das Prozedere.
Ajouré: Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Film-Business drüben und hier? Siehst du hier eine Entwicklung bzw. Aufbruchsstimmung?
Philipp: Ich hatte am Anfang meiner Rückkehr nach Deutschland eine Art Kulturschock. Ich hatte lange kein deutsches Fernsehen mehr gesehen und war überrascht von den sehr unterschiedlichen Standards, was viele Aspekte des Fernsehens angeht. Ich will hier aber auch nicht alles schwarzmalen, denn ich denke, es herrscht tatsächlich eine Aufbruchsstimmung, nur hoffe ich, dass diese nicht im Keim erstickt wird. Wir Deutschen sind in Amerika nicht unbedingt für unsere Unterhaltung bekannt und kommen doch oft mit kreativen und überraschenden Filmen daher, die aber meiner Meinung nach viel zu selten passieren. Speziell, wenn es um originelle und mutige Projekte geht, gibt es viel Potential, was noch nicht ausgeschöpft wird. Dabei ist es wichtig, dass wir dieses Potential mit Selbstbewusstsein angehen, d.h. uns trauen, authentische und originelle Geschichten zu erzählen, die mit unserer Kultur verbunden sind, ohne andere zu kopieren. Die Amerikaner denken groß, die Deutschen denken sicher. Das ist ein wenig pauschalisiert und ohne Bewertung, aber so ist der Eindruck. Wir sollten das Selbstbewusstsein haben, auch einmal groß zu denken.
Ajouré: Was viele nicht wissen: Du stehst nicht nur als Schauspieler vor der Kamera, du führst auch selber Regie, entwickelst eigenen Stoff und produzierst Spiel- und Werbefilme. Was kannst du Näheres dazu erzählen?
Philipp: Ich habe in New York neben dem Schauspiel hauptsächlich Regie für Werbefilme gemacht, aber wie bei fast allen Regisseuren lag meine eigentliche Leidenschaft beim Spielfilm. Dennoch kann man sich in der Werbung oft austoben und es gab tolle Projekte, bei denen ich viel lernen durfte. In Deutschland hat sich der Spieß dann umgedreht und ich bin hauptsachlich vor der Kamera tätig. Wenn ich zwischen Regie oder Schauspiel wählen müsste, wäre es mir fast unmöglich, denn ich liebe beides. Nach einiger Zeit Abstinenz von dem einen oder anderen bekomme ich meist ein Kribbeln im Bauch und ich merke, es wird wieder Zeit zu arbeiten. Von der Werbung haben wir uns jedoch ein wenig entfernt, denn ich glaube, unsere Erfahrung aus den USA in Bezug auf Dramaturgie und Storytelling kann etwas für die deutsche Film- und Fernsehwelt bewirken.
Ajouré: Im Dezember wird auf Netflix eine Doku-Reihe ausgestrahlt, für die du einen Beitrag zum Thema Finanzen und Korruption produziert hast. Ist das ein Thema, das dich sehr beschäftigt?
Philipp: Wir haben das in Zusammenarbeit mit einer New Yorker Produktionsfirma für Netflix gemacht, die mehr auf Dokus spezialisiert ist. Ich selber sehe mich eher im „Fiction“-Bereich, bin aber an Dokumentarfilmen interessiert, wenn auch eher als Zuschauer. Korruption ist ein sehr aktuelles Thema, welches uns alltäglich beschäftigt und es war spannend, dabei zu sein und Recherche zu machen. Meist bekommt man dadurch auch Ideen für andere Projekte. Es war außerdem eine Wahnsinns-Erfahrung, mit einem Oscar-Preisträger zusammenzuarbeiten. Der Regisseur Alex Gibney hat eine sehr objektive Herangehensweise und versucht, seinen Interview-Partnern so offen wie möglich zu begegnen. Es war faszinierend, ihm dabei zuzuschauen.
Ajouré: Du hast deine eigene Serie konzipiert: Ein Mix aus Desperate Housewives und Breaking Bad. Um was geht es darin genau und wie kam dir die Idee?
Philipp: Das sind jetzt erstmal zwei amerikanische Serien und doch ist unser Konzept sehr „deutsch“. Wie schon erwähnt denke ich, dass es ein großer Fehler ist, wenn wir versuchen, Dinge zu kopieren. Wir sollten sie zu unser Eigen machen, denn nur so sind sie authentisch. Die Serie spielt in einem typischen Berliner Arbeiter-Milieu, eines, das ich durch meine eigene Familie kennenlernen durfte. „My Love“ handelt von einer Gruppe Putzfrauen, die durch ein Ungeschick auf krumme Bahnen kommen und den Kampf mit der russischen Mafia aufnehmen. Es handelt sich hierbei um eine in Deutschland eher seltene „horizontale“ Erzählweise, d.h. ein Handlungsstrang, der sich durch die gesamte Staffel zieht. Was die Dramaturgie und Erzählweise angeht, ist die Serie dann doch amerikanisch. Billy Wilder hat einmal über das Drehbuchschreiben gesagt: „Grab ’em (the audience) by the throat and never let ’em go.“ Und so soll es dann auch sein.
Fotos: Ines Meier