Quentin Tarantino gilt bei vielen als der Kult-Regisseur schlechthin und ist zweifelsohne einer der bedeutendsten Filmemacher aller Zeiten. Seine Biographie liest sich, als könne sie selbst Vorlage für einen Film sein. Der Stil Tarantinos ist wie bei jedem großen Regisseur unverwechselbar. Zugleich ist er ein Mensch, der polarisiert, gilt als Exzentriker und Egomane.
Der steinige Weg zum Erfolg
„Ich wollte, dass der Junge einen Namen hat, der groß genug ist, eine ganze Leinwand zu füllen.“
(Connie Tarantino)
Quentin Tarantino kam am 27. März 1963 in Knoxville, Tennessee, USA als Sohn der damals 16-jährigen Connie Tarantino und des fünf Jahre älteren Schauspielers Tony Tarantino zur Welt. Der junge Quentin verbrachte seine Kindheit und Jugend in Kinos, vor dem Fernseher oder mit der Nase in Comic-Heften. Als hyperaktiver Legastheniker mit einem IQ von 160 fühlte er sich in der Schule denkbar unwohl und brach diese in der zehnten Klasse ab.
Zunächst verdiente er sich seinen Lebensunterhalt und den Schauspielunterricht als Kartenabreißer eines Pornokinos in Torrance, ehe er einen Job im Video Archive fand, das heute als die Geburtsstätte des Regisseurs Tarantino betrachtet werden kann. Aus jener Zeit existieren zahlreiche Anekdoten, deren zweifelhafter Wahrheitsgehalt zum Mythos Tarantino beigetragen haben dürften. Erfolglos und arm, wie er war, soll Tarantino lange Zeit in seinem Auto gewohnt haben. Nun ist das Übernachten im Auto in den USA aber illegal und als Tarantino die vielen Strafzettel nicht bezahlen konnte, saß er kurze Zeit im Gefängnis.
Viele seiner ersten Geschichten verfasste Tarantino für und über seine Mutter – in all diesen Geschichten kam sie am Ende ums Leben. Er erfand damals wohl auch einige Details seiner Biografie selbst und gab etwa an, er habe in Jean-Luc Godards Adaption von „König Lear“ mitgespielt, weil es sich gut im Lebenslauf machte, aber den Film – Tarantinos Ansicht nach – niemand gesehen hätte.
Seinen ersten eigenen Film, von dem heute wegen eines Brandes im Schneideraum nur noch Teile erhalten sind, drehte Tarantino mit einem Budget von gerade einmal 5000 US-Dollar: „My Best Friend’s Birthday“. Ein weiteres Drehbuch, was zu dieser Zeit bereits fertiggestellt war, wurde aufgrund seines Umfangs von 500 Seiten von sämtlichen Studios abgelehnt. Später wurden aus diesem Werk mit dem Titel „The Open Road“ die Drehbücher zu „Natural Born Killers“, von dessen Verfilmung durch Oliver Stone sich Tarantino jedoch distanzierte, und „True Romace“.
Erste große Schaffensperiode: Die 1990er
Reservoir Dogs (Foto: © Metropolitan FilmExport)
Tarantinos Durchbruch kam 1992 mit „Reservoir Dogs“, der vor allem realisiert werden konnte, weil das Drehbuch seinen Weg in die Hände Harvey Keitels gefunden hatte. Der Film handelt von sechs einander fremden Kriminellen, die von einem Gangsterboss zusammengebracht werden, um einen Diamantenraub durchzuführen. Bis auf den Prolog und einige Rückblenden spielt der gesamte Film am Treffpunkt der Juwelenräuber, die sich wegen des frühzeitigen Erscheinens der Polizei sicher sind, dass einer von ihnen ein Maulwurf ist.
Nahezu alles, was heute als typisch für Tarantino gilt, trifft bereits auf „Reservoir Dogs“ zu: Der Film ist dialoglastig und minimalistisch inszeniert. Der Soundtrack setzt sich vollständig aus Songs der 1970er Jahre zusammen. Die Gewaltdarstellungen sind von drastischer Brutalität, obgleich im Gegensatz zu Tarantinos späteren Werken realistisch und nicht überzeichnet. Tarantino gelingt es, mit einfachsten Mitteln ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel zu inszenieren.
Pulp Fiction
1994 folgte Tarantinos wohl berühmtestes Werk: die mit der Goldenen Palme, dem OSCAR (bestes Originaldrehbuch) und dem BAFTA (bestes Originaldrehbuch; bester Nebendarsteller) ausgezeichnete Gangster-Groteske „Pulp Fiction“.
Pulp Fiction (Foto: © D.R.)
Der Film, dessen Titel sich auf das englische Wort für „Schundliteratur“ bezieht, erzählt drei lose miteinander verwobene Geschichten. Zunächst einmal sind da die beiden Auftragskiller Jules Winnfield (Samuel L. Jackson) und Vincent Vega (John Travolta), die für Marsellus Wallace, ihren Boss (Ving Rhames), einen Koffer unbekannten Inhalts sicherstellen sollen und dabei von einer absurden Situation in die nächste geraten. Diese Geschichte bildet die lose Rahmenhandlung und wird in nicht-chronologischer Reihenfolge erzählt.
Die zweite und zugleich erste vollständig erzählte Storyline befasst sich mit Vincent Vega, der die Frau seines Auftraggebers, Mia Wallace (Uma Thurman), in dessen Abwesenheit unterhalten soll. Der gemeinsame Abend endet damit, dass Vincent Mia eine Adrenalinspritze gegen eine Heroin-Überdosis ins Herz jagt.
Zu guter Letzt wäre da dann noch der Boxer Butch Coolidge (Bruce Willis), der von Wallace dafür bezahlt worden war, einen Kampf zu verlieren, stattdessen aber seinen Gegner ins Jenseits beförderte. Er will nach dem Kampf mit seiner Freundin die Stadt verlassen, doch sie hat das Erbstück seines Vaters, eine Taschenuhr, die jener und einer seiner Kameraden durch die Kriegsgefangenschaft geschmuggelt hatten, daheim vergessen. Bei dem Versuch, die Uhr zu holen, läuft Butch Wallace über den Weg, doch finden sich die beiden bald als Verbündete im Kampf gegen zwei Vergewaltiger wieder.
Tarantinos dritte Regiearbeit war zugleich seine einzige Romanverfilmung: die 1997 veröffentlichte Heist-Komödie „Jackie Brown“ mit Tarantinos Jugendidol Pam Grier in der Titelrolle. Daneben fallen noch zwei Filme mit Beteiligung Tarantinos in die Schaffensperiode der 1990er Jahre.
Der Episodenfilm „Four Rooms“ von 1995 gestaltete sich durch Tarantinos plötzliche Berühmtheit zu einem wahren Sorgenkind. Die Rahmenhandlung um den Hotelpagen Ted (Tim Roth), der während einer Nachtschicht in vier unterschiedlichen Zimmern in absurde Situationen gerät, sollte es vier verschiedenen Autoren und Regisseuren ermöglichen je ein gleichberechtigtes Segment des Films für sich zu gestalten. Das Studio wollte aber dem neuen Superstar Tarantino besonders viel Platz einräumen und ihn als Aushängeschild des Films nutzen. Dies stieß vor allem bei den Regisseuren Allison Anders und Alexandre Rockwell auf starke Gegenwehr.
Robert Rodriguez kann auf Tarantino nicht allzu sauer gewesen sein, denn die beiden sind bis heute eng befreundet und drehten ein Jahr nach „Four Rooms“ den Kult-Klassiker „From Dusk Till Dawn“ zusammen. Tarantino schrieb das Drehbuch und spielte einen der Hauptcharaktere, während Rodriguez Regie führte. Das besondere an diesem Film ist der Genrewechsel nach etwa der Hälfte der Gesamtspielzeit. Die erste Hälfte ist ein klassischer Gangster-Roadmovie, während die zweite Hälfte ein Vampir-Splatter-Film ist.
From Dusk Till Dawn (Foto: Film-Screenshot)
Der Meister meldet sich zurück:
Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert.
„Ich hatte keinen writer’s block. Ich habe sechs Jahre lang nichts getan als zu schreiben. Mein Problem war nicht der writer’s block, ich konnte meine Sachen bloß nicht zu Ende bringen, weil ich so viel geschrieben habe. […] Jetzt habe ich jede Menge Stoff, und bin zurück im Geschäft.“
(Quentin Tarantino; FAZ 16.10.2013)
Das gemeinsame Thema, das alle Filme Tarantinos im neuen Jahrtausend verbindet, ist Rache. In „Kill Bill“ nimmt eine ehemalige Auftragsmörderin Rache an ihren einstigen Weggefährten, die am Tag ihrer Hochzeit die gesamte Hochzeitsgesellschaft ermordeten und sie schwanger und schwer verwundet zum Sterben zurückließen.
Das Segment „Death Proof“ des mit Rodriguez zusammen entstandenen Double Features „Grindhouse“ handelt von drei Stuntfrauen, die sich an einem misogynen Serienmörder rächen, der Frauen mit seinem todsicheren Stuntauto in Unfälle mit tödlichem Ausgang verwickelt.
Nazis & Sklavenhaltung
„Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ sind Abrechnungen mit Nazi-Deutschland und der Sklavenhaltergesellschaft der USA. Mit „The Hateful Eight“ kehrte Tarantino in gewisser Weise zu seinen Wurzeln zurück und inszenierte eine Art Mischung aus „Reservoir Dogs“ und Spaghetti-Western.
Besonders kontrovers diskutiert wurden die beiden Filme mit historischen Settings. Hauptkritikpunkte an „Inglourious Basterds“ waren die angebliche Rachephantasie der Amerikaner und Juden, die Tarantino auslebe, und der äußerst freie Umgang mit der Geschichte. Bei genauerem Hinsehen stellen sich beide Unterstellungen als gegenstandslos heraus. Obgleich Tarantino für seine ambivalenten Charaktere und Anti-Helden berühmt ist, gab es doch stets Figuren in seinen Filmen, denen man gewisse Sympathien entgegenbringen konnte. Abgesehen von Shoshanna Dreyfus (Mélanie Laurent) sind sämtliche Charaktere in „Inglourious Basterds“ denkbar unsympathisch. Die Basterds sind eine Gruppe sadistischer Soziopathen, die einzig deshalb als die „Guten“ durchgehen, weil ihre Gegner bzw. Opfer Nazis sind.
Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten zu Inglourious Basterds (Foto: © Universal Pictures)
Tarantino löst sich also vom Schema anderer Hollywood-Filme über den Zweiten Weltkrieg und portraitiert Amerikaner und Briten nicht als die strahlenden Helden, die Frankreich von den Nazis befreiten, sondern als Militärmächte, deren Soldaten denen der Gegenseite in Brutalität und Grausamkeit teilweise ebenbürtig waren. Obgleich Tarantino sich nicht an historische Fakten hält, gelingt es ihm die Mechanismen des NS-Regimes und seines Propagandaapparats besser einzufangen und zu entlarven als jedem anderen Filmemacher.
Figuren wie Hans Landa (Christoph Waltz) und Fredrick Zoller (Daniel Brühl) stehen geradezu exemplarisch für das deutsche Volk unter Hitlers Herrschaft. Beide sind keine überzeugten Nazis, aber dennoch willfährige Instrumente, die ihre Fähigkeiten Hitler und seinem Regime bereitwillig zur Verfügung stellen. Landa ist kultiviert, intelligent und charmant, aber auch ein Opportunist, der seine Dienste an den Meistbietenden verkauft. Zoller wiederum fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Rolle als Kriegsheld, wird geplagt von Gewissensbissen, zeigt aber kurz vor seinem Ende auch jene grausame, gewaltbereite Seite, die ihn zu so einem zweckdienlichen Soldaten der Nazis machte.
Mit „Django Unchained“ griff Tarantino das düsterste Kapitel der US-Geschichte auf und machte sich in der Heimat damit wenig Freunde. Django Freeman (Jaime Foxx) ist ein Sklave, der Rache an den Sklavenhaltern nimmt und es ihnen – um es mit Tarantinos Worten zu sagen – „Blut für Blut heimzahlt“. Hilfe erhält Django dabei von einer der wohl sympathischsten Figuren, die Tarantino je geschrieben hat: dem exzentrischen Kopfgeldjäger und Zahnarzt Dr. King Schultz (Christoph Waltz). Zur Abwechslung nutzt Tarantino seinen Hang zu expliziten Gewaltdarstellungen einmal dazu, die Grausamkeit der Realität widerzuspiegeln. Er beschönigt nichts und führt vor, auf welch unmenschliche Art die weißen Sklavenhalter die Schwarzen behandelten. Doch auch von einigen Schwarzen hagelte es Kritik, denn in dem Film fällt das Wort „Nigger“ 116 mal (Weltrekord). Ein afroamerikanischer Reporter bedankte sich allerdings auch bei Tarantino dafür, dass er nichts beschönigt und nicht auf Political Correctness Rücksicht genommen habe.
Django Unchained (Foto: © Sony Pictures)
Der Stil:
Kofferräume, Blutfontänen und Retrocharme
Was macht einen wahren Kult-Regisseur und -Autorenfilmer aus? In erster Linie wohl ein unverwechselbarer, einzigartiger Stil. Tim Burton hat einen Faible für morbiden Humor, blassgeschminkte Gesichter und Johnny Depp. Bei Guillermo del Toro kann man stets davon ausgehen, dass alles in Orange oder Blau ausgeleuchtet wird und dass früher oder später ein kalkweißer Geist (manchmal sind sie auch rot, ja) oder Wesen, die geradewegs aus einer Lovecraft-Erzählung entsprungen sein könnten, auftauchen. Joss Whedon hat seinen unverwechselbar nerdigen Schreibstil. Stanley Kubrick war vor allem für seine enorm pedantische Arbeit am Set berüchtigt, denn alles musste genauso aussehen, wie er es sich ausgemalt hatte, auch wenn es dafür weit über einhundert Takes brauchte. Der große „Master of Suspence“, Alfred Hitchcock, konnte mit den einfachsten Mitteln in oft kammerspielartigen Szenarios Spannung erzeugen und schaffte es 1960 mit sieben Tagen Dreharbeit, vielen Schnitten und einer Flasche Schokosirup, dass das Publikum scharenweise und vor Panik schreiend aus den Kinos stürmte.
Aber was sind die Merkmale des Quentin Tarantino? Einige davon haben wir bereits angesprochen: exzessive Gewaltdarstellung, Dialoglastigkeit, ambivalente Charaktere.
Tarantino und die Gewalt
Obwohl Tarantino sich im echten Leben gegen Gewalt engagiert, sind seine Filme voll davon. Oft wurde Tarantino mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Filme würden zur Gewalt anstiften. Der Regisseur selbst hält sein Publikum hingegen für intelligent genug, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Auch die Behauptung, Tarantino befürworte gewalttätige Handlungen, weil er sie unterhaltsam darstelle, kann man getrost als Hirngespinst bezeichnen. So zog Tarantino den Zorn der US-Polizei auf sich, als er 2015 gegen die zunehmende Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA demonstrierte und erklärte:
„Wenn ich Morde sehe, kann ich nicht nur danebenstehen… Ich muss diese Morde Morde nennen und die Mörder Mörder nennen.“
Auch passt Tarantino die Gewaltdarstellung dem Thema und Stil des Films an und weiß, wann er draufhalten kann oder muss und wann es angebracht ist, wegzuschwenken oder die Szene ganz auszusparen. Im Fall von „Kill Bill“ wird Gewalt stellenweise mit riesigen Blutfontänen ins Lächerliche überzeichnet. Bei „Inglorious Basterds“ und „Django Unchained“ wird sie hingegen mal zur Abschreckung und mal zum Ausleben von Rachegelüsten an realen Verbrechern der Geschichte genutzt. Bei all seinen anderen Filmen, also denen, die keinen realen Hintergrund besitzen, werden Gewalthandlungen, die keinen Unterhaltungswert hätten, sondern sich schlicht durch pure Grausamkeit auszeichnen würden (etwa die Folter eines Polizisten in „Reservoir Dogs“ oder die Vergewaltigung in „Pulp Fiction“), nicht grafisch dargestellt.
Die Dialoge
Gerade Tarantinos Frühwerke sind vielfach von einem tiefschwarzen Humor geprägt – etwa wenn Vincent sich in „Pulp Fiction“ zu seiner und Jules’ Geisel umdreht, um sie nach ihrer Meinung bezüglich des Streits der beiden zu fragen, und sich ein Schuss aus Vincents Waffe löst und den Kopf der Geisel über die gesamte Rückbank verteilt, was Vincent nur mit einem konsternierten „Oh, Mann! Ich habe Marvin ins Gesicht geschossen.“ kommentiert.
Tarantino genießt es, Grenzen zu überschreiten, mit Konventionen und ungeschriebenen Regeln zu brechen, stets all das zu tun, was als cineastische Todsünde gilt. Er vermeidet lineare Erzählweisen, springt in der Zeit umher und macht die Vorzeitigkeit der Rückblenden in den seltensten Fällen als solche kenntlich. Der Zuschauer muss sich die eigentliche Reihenfolge der Geschehnisse aus dem Zusammenhang heraus selbst erschließen. Die einzelnen Segmente des Films werden zwar – auch entgegen all dessen, was als guter Stil gilt – in Akte oder Kapitel unterteilt, doch weder geben die Akte Auskunft über die Reihenfolge, in der sie stehen sollten, noch sind Rückblenden automatisch separate Akte.
Die Dialoge aus Tarantinos Filmen genießen nicht zuletzt Kultstatus, weil sie eine Beiläufigkeit und vermeintliche Belanglosigkeit besitzen, die sich kaum ein anderer Drehbuchautor trauen würde. Im Prolog von „Reservoir Dogs“ sitzen acht Schwerverbrecher in einem Lokal und unterhalten sich über Musik und die Frage, ob man der Kellnerin Trinkgeld geben sollte, ehe sie sich erheben, um einen Raubüberfall durchzuführen. Die Unterhaltung zwischen Jules und Vincent über die Unterschiede zwischen Europa und den USA aus „Pulp Fiction“ zählt zu den berühmtesten und meistparodiertesten Filmszenen aller Zeiten, obwohl sie nichts, aber auch rein gar nichts zur Handlung des Films beiträgt. Noch an der Tür zur Wohnung der Kleinganoven, die sie gleich töten werden, haben die zwei Killer einen Disput über Fußmassagen.
Dass sich Schwerverbrecher über ganz alltägliche Dinge unterhalten, trägt zur Ambivalenz der Charaktere bei. Statt seine Figuren in ein Gut-Böse-Schema zu pressen, stellt Tarantino sind allem voran als Menschen dar – ganz gleich, welch unmenschliche Dinge sie tun oder getan haben. So kann der Zuschauer Sympathie für eine Person wie die von Uma Thurman gespielte Braut, eine ehemalige Auftragsmörderin auf Rachefeldzug, in „Kill Bill“ empfinden, denn sie ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Sie wollte aussteigen, ein neues Leben beginnen und Bill hat ihr die Möglichkeit versagt, indem er ihren neugewonnen Freundeskreis, ihren Verlobten, den Pfarrer, dessen Frau und den Organisten abgeschlachtet hat. Wie so oft zeigt Tarantino gerade diesen Ausgangspunkt der Handlung nicht. Auch vom Diamantenraub in „Reservoir Dogs“, dem Boxkampf in „Pulp Fiction“ oder der Gefangenname Daisy Domergues in „The Hateful Eight“ bekommt der Zuschauer nie etwas zu sehen.
Uma Thurman und Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten zu Kill Bill (Foto: © Miramax Films)
Tarantino und Computertechnik
Tarantino sucht stets das große Kino in ganz kleinen Dingen. Er ist ein Minimalist und ein Purist, dem althergebrachte Arbeitsweisen und Techniken äußerst wichtig sind. Viele werden von seinem berühmten Leitspruch bei den Dreharbeiten zu „Kill Bill“ gehört haben:
„Wenn wir es nicht in der Kamera machen können, können wir es gar nicht machen.“
Viele schlossen daraus, Tarantino habe eine Abneigung gegen CGI. Doch wie so oft, wurde hier ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Das Zitat entstammt einem Interview, das Peter Körte 2003 mit Tarantino führte, und ihm geht ein längerer Kommentar Tarantinos voraus, als er auf Körtes Frage nach computergenerierten Spezialeffekten antwortete:
„Ich sehe durchaus, was sie bewirken können. Als ich ‚Titanic’ sah, hat es mich umgehauen. Auch bei der Flugzeugszene in ‚Fight Club’ oder bei manchen Dingen in ‚Terminator 3’. Aber die sind auch ’rausgegangen, haben haarsträubende Actionszenen gedreht und dann computergenerierte Bilder hinzugefügt, weil alles andere lebensgefährlich gewesen wäre. […] Was mich wirklich krank macht, sind Regisseure, die zu faul sind. […] Zur Hölle, das hat man [bei älteren Filmen] wirklich gemacht, ohne Bilder aus dem Computer. Warum soll ich dann von diesem ganzen Computer-Bullshit beeindruckt sein?“
Easter Eggs
Auch sonst setzt Tarantino auf Methoden und Technologien, die schon für die Filme genutzt wurden, mit denen er groß geworden ist. Da seine Filme stets eine Hommage an die Filme seiner Kindheit und Jugend sind, ist dies auch nur konsequent. Das Tarantinoversum baut sich seine ganz eigene Mythologie mit eigener Tabakmarke (Red Apple) und Fast-Food-Kette (Big-Kahuna-Burger) aus einer Vielzahl von Versatzstücken, die klassischen Western, Kung-Fu- und Gangsterfilmen entlehnt sind, zusammen. Neue Kameratechniken machen Filme in den Augen des Kultregisseurs nicht besser. Er guckt lieber noch persönlich durch gute, alte Filmkameras, statt am Set vor einem Monitor zu hocken und sich anzusehen, was die Digitalkamera aufzeichnet.
Mia Wallace mit einem Big-Kahuna-Burger (Foto: © Miramax Films)
Neben all diesen für Tarantino typischen Stilmitteln, existieren noch gewisse Marker, die sich in Tarantinos Werken etabliert haben. So etwa die Zigaretten- bzw. Tabakmarke Red Apple und Big-Kahuna-Burger, die als Easter Eggs in vielen Filmen Tarantinos versteckt sind. Legendär sind auch die Kameraeinstellungen – allen voran der Trunk Shot, das Filmen einer Szene aus der Perspektive des Kofferraums, in dem sich meistens auch eine Person befindet. Wenn es so etwas wie das Tarantino-Markenzeichen schlechthin gibt, dann ist es der Trunk Shot, der in jedem seiner Filme enthalten ist. Aber auch längere Kamerafahrten, die Charakteren folgen, setzt Tarantino mit Vorliebe ein.
Die Film-Musik
Doch nicht nur visuell, sondern auch akustisch besitzt Tarantino eine einzigartige Handschrift. Bis zu „Kill Bill“ hatte er gänzlich auf eigens für den Film geschriebene Soundtracks verzichtet und einzig auf seine private Plattensammlung voll mit Songs der 1970er Jahre vertraut. Für den symbolischen Betrag von einem Dollar schrieb Robert Rodriguez einzig anhand des Drehbuchs die Musik für einige Szenen aus „Kill Bill“, denn er kannte den Stil seines alten Weggefährten so gut, dass er den fertigen Film nicht brauchte, um zu wissen, wie die Szenen aussehen würden. Tarantino seinerseits führte ebenfalls für einen Dollar bei einer Szene von Rodriguez’ „Sin City“ Regie, weil Rodriguez seinen Freund mit den Möglichkeiten der Computeranimation ein wenig vertrauter machen wollte.
Neben der Musik besitzen auch viele Soundeffekte eine besondere Note, was gerade bei den Kampfszenen in „Kill Bill Vol.1“ deutlich wird, denn hier überspitzt Tarantino die abgedrehte Action mit Soundeffekten, die man großteils eher in einem Cartoon erwarten würde.
Die Sprache
Bei Sprache hingegen besteht Tarantino auf Realismus und dreht stets in der Sprache, die von den Charakteren auch gesprochen wird, weshalb viele Szenen in „Kill Bill Vol.1“ auf Japanisch sind, „Inglorious Basterds“ fast zur Hälfte auf Deutsch und Französisch ist und es selbst in „Django Unchained“ im Original eine Szene auf Deutsch gibt.
Die Schauspieler
Zu guter Letzt sei noch Tarantinos Vorliebe für bestimmte Darsteller erwähnt. Ähnlich wie Tim Burton oder Christopher Nolan zieht Tarantino eindeutig die Zusammenarbeit mit bestimmten Schauspielern vor. Samuel L. Jackson etwa, der bei „Reservoir Dogs“ vom Studio abgelehnt worden war, wirkte ab „Pulp Fiction“ an jedem Regieprojekt Tarantinos außer „Death Proof“ mit.
Tarantinos Muse Uma Thurman erarbeitete die Figur der Braut, die sie in „Kill Bill“ selber verkörperte, mit Tarantino zusammen während der gemeinsamen Arbeit an „Pulp Fiction“. Christoph Waltz gewann seine beiden OSCARs mit Nebenrollen in Tarantino-Filmen – die Figur des Dr. King Schulz wurde sogar einzig für Waltz, der mit Tarantino gut befreundet ist, geschrieben. Daneben gehören Harvey Keitel, Michael Madsen, Michael Parks, Tim Roth und Zoë Bell bei mehreren Filmen Tarantinos zum Cast.
Fotos: Jeff Spicer / Kontributor / Getty Images