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Fritz Kalkbrenner: „Man holt mehr aus sich raus, wenn man den Kasten kleiner hält“

Seit 20 Jahren ist Fritz Kalkbrenner ein fester Bestandteil der House-Szene und auch mit seinem neuen Album „True Colours“, das am 13. März 2020 erschien, zeigt er wieder mal, dass elektronische Musik viel mehr ist als monotone Bassklänge. Wie sich seine Tracks entwickeln, wie er selbst auf seine Karriere zurückblickt und wie er seine Zukunft sieht, verriet er uns im Skype-Interview wenige Tage vor dem Start seines neuen Albums.

Dein neues Album steht kurz vor der Veröffentlichung. Wie ist es geworden? Was genau erwartet deine Fans?

Mein letztes Album war ja ein rein instrumentales Album. Daran war so eine Art Entwicklung schuld. Wenn ich mir meine letzten vier Alben davor anschaue, gab es einen Hang zu immer mehr Bestandteilen, mehr Studiomusiker, also immer größer, dicker und fetter. Das war per se nicht alles schlecht, ab dem vierten Album hatte ich jedoch das Gefühl, mich auf einem Hochplateau zu befinden und auf der Stelle zu treten.

Deshalb hatte ich Lust, mal mit den eigenen Fähigkeiten zu brechen, woraus dieses instrumentale Album entstanden ist. Dafür hast du auch keinen Radio-Promoter einstellen müssen, das hätte nichts gebracht. Das war aber auch alles überhaupt nicht schlimm.

So war nun der letzte Stand und ich merkte dann einfach, dass ich diesen Weg nicht ohne weiteres weitergehen kann. Man beschneidet sich ja selbst, wenn man etwas bewusst in seinem Tätigkeitskreis rauslässt. Das war zwar gut, um das als Effekt so darzustellen, aber ab einem gewissen Zeitpunkt war dann klar, dass ich auch gerne wieder Nummern singen und texten will.

Aber mit der Erfahrung dieses großen Bruches war mir als Produzent schon sehr früh klar, dass man die Dinge immer wieder ähnlich angeht, weil man die Welt ja immer durch seine eigenen Augenpaare sieht, auch wenn man immer dazulernt. Wenn man frischen Input haben möchte, muss man frühzeitig Experten dazu holen. Früher war ich da eher resistent, gerade beim ersten Album wollte ich keine Hilfe annehmen. Bei diesem Album aber wollte ich mit neuen, frischen Leuten zusammenarbeiten, die ich kenne, wie zum Beispiel Ben Böhmer, Felix Lehmann, Conrad Hensel und Henrik Müller. Sie haben mit meinen Skizzen weitergearbeitet und ihre Ideen mit einfließen lassen, so wurde das ein schönes Hin und Her. Ben kann beispielsweise mit Synthies besser umgehen als ich, somit ist das natürlich ein toller Mehrwert. Insgesamt schafft das ein gewisses Sound-Update. Man will ja nicht immer wieder die gleiche Geschichte erzählen und quasi immer wieder das gleiche Album veröffentlichen.

Du hast schon öfters gesagt: Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen… Was tust du dafür, um immer mit der Zeit zu gehen?

Es empfiehlt sich, flexibel zu sein und Dinge anzunehmen. Nicht gerade jede Mode, aber zumindest Großwetterlagen. Es macht ja auch keinen Sinn mehr, heute noch Gaslampen zu produzieren. Wenn es irgendwann anachronistisch wird, läuft man Gefahr, dass es witzlos wird. Das gibt es natürlich in unterschiedlichen Intensitäten. Es gibt zum Beispiel Soulsänger aus den 60ern, die später auch Discoalben oder Slowjam in den 80ern veröffentlicht haben. Die sind dementsprechend auch mitgegangen, aber dabei ihrem Kern treugeblieben.

Dann gibt es aber auch andere Künstler, wo jedes Album eine komplette Metamorphose ist und die ganze PR bis zu den Klamotten neu aufgezogen wird. Damit tue ich mich ein bisschen schwer.

Du machst ja schon seit den 90ern Musik. In wie weit hat sich die Musik oder vielleicht auch die Fans verändert von damals zu heute? Gibt es da einen spürbaren Unterschied?

Klar, die Produktionsmittel waren früher schwer erschwinglich und mussten erst einmal organisiert werden. Das war alles nicht so einfach. Heute kann ich bereits aus diesem Mac hier das in ähnlicher Form rausholen. Aber auch nur, weil ich das bereits seit 20 Jahren mache. Also die Tricks und Kniffe muss man dann schon kennen. Und da beißt sich dann schon wieder die Katze in den Schwanz, denn nur die Egalisierung der Produktionsmittel reicht eben nicht aus. Denn wenn es jeder machen kann, macht es dann auch meistens jeder.

Früher war das eine Leistungshürde, quasi ein Qualitätsraster, was das ein bisschen aussortiert. Das ist heute inflationärer geworden, weil das jetzt jeder machen kann. Du musst ja heute keine Plattenfirma mehr davon überzeugen, dass deine Musik gut ist und die muss auch kein Geld in dich investieren für ein Album und Promo. Ergo kommt auch viel mehr Schrott raus, und auch insgesamt quantitativ viel mehr. Man wird einfach erschlagen. Spotify ist randvoll mit Songs, die sich noch niemals jemand angehört hat.

Du kannst dir beispielsweise Unmengen an Plugins runterladen, die hast du zwar dann alle, kennst sie aber nur zu 10%. Jemand wie DJ Premier hat eine SP1200, die kann nicht so viel, aber er versteht sie zu 100% und weiß genau, was er mit ihr machen muss. Das ist auch ein Stück kreative Arbeit. Da sind wir dann wieder bei der Reduktion der Arbeitsmittel. Also holt man mehr aus sich raus, wenn man konsequent den Kasten etwas kleiner hält.

Die Frage der Fragen, wie lange man seinen Job noch machen will, wird auch dir häufiger gestellt. Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, was du danach machen willst? Worauf du noch Bock hättest?

Naja, ich gehe jetzt straff auf die 40 zu, das ist eine logische Situation. Ich für meinen Fall will das auch nicht ewig machen müssen bzw. bis zu dem Punkt machen müssen, wo ich es gar nicht mehr machen will. Es gibt ja Leute, die das vertretbarerweise bis ins hohe Alter machen, weil sie es wirklich lieben. Zum Beispiel Sven Väth, der ist über 50, der macht das und findet das geil. Jedes Wochenende spielt er irgendwo zwei Shows, und das ist auch echt und ehrlich. Dann gibt es natürlich auch Leute, die müssen sich da hinquälen, weil sie vielleicht nicht genug gespart haben.

Da ja alles im Leben ein Abschied ist, muss man sich gedanklich schon darauf vorbereiten, dass das einen dann auch nicht so schwer trifft, wenn der Zeitpunkt kommt. Es geht da eher um die innere Position, wie bereit ist man im Zweifelsfall, das loslassen zu können. Das heißt nicht, dass man das nicht gerne macht oder nicht festhält, sondern dass es einen nicht so sehr aus dem heiteren Himmel trifft. Und ich glaube, da bin ich eigentlich ganz gut. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, kriege ich das auch hin. Man muss ja Dinge auch nicht überstrapazieren.

Du hast selbst mit 17 Jahren die Schule abgebrochen. Wie siehst du die aktuelle Entwicklung in den Social-Media-Kanälen, dass Jugendliche ihren Traum verwirklichen wollen und einen Weg als Influencer einschlagen, anstatt eine Berufsausbildung anzustreben?

Ich glaube, da kann ich auch absolut kritisch sein. Instagram-Follower oder YouTube-Fans zu haben, ist nichts von Substanz. Klar kann man das monetarisieren, aber das ist ganz dünnes Eis. Dinge müssen ja mit einer gewissen Substanz unterfüttert sein. Wenn ich jetzt in der Nutzung der sozialen Medien, die ich ja als Musiker auch benötige, soundso viele Zahlen habe und da auch Dinge daraus generiere, ist das ein Werkzeug, was meiner musikalischen Tätigkeit zuarbeitet. Die musikalische Tätigkeit ist jedoch die Basis.

Wenn jetzt jemand sagt, ich will das machen, weil das geil ist und weil man einfach fame ist, ich lasse mir Schuhe zuschicken und führe sie vor, und das ist der einzige zu bewertende Inhalt, dann ist das leider zu wenig. Das kann für ein paar Jahre gutgehen, aber das wird kein langfristig funktionierendes Geschäftsmodell. Da können mir vielleicht auch manche widersprechen, aber meine Auffassung ist in dieser Hinsicht ein bisschen altertümlich. Dafür ist dieser Geschäftsstrang noch viel zu jung. Da stehen 8-10 Jahre Blödsinn machen auf YouTube 4500 Jahre Geschäftstätigkeit gegenüber.

Das Leben ist lang, diese Erfahrung habe ich auch schon machen müssen. Und wenn du mal mit 25 beim Bäcker stehst und überlegst, Brötchen zu klauen, dann erfährst du, wie tief man im Leben auch fallen kann. Nach unten ist viel Platz, deshalb wäre ich da vorsichtig.

Fritz Kalkbrenner

Wie entsteht bei dir ein Song? Wie können wir uns das vorstellen? Als Beispiel jetzt dein neustes Werk „Kings & Queens“?

Man produziert und erarbeitet sich verschiedene Skizzen und eine dieser Skizzen trägt den Kern in sich, aus der dann eine eigene Nummer wird. Angefangen hat es mit einem bestimmten Drei-Noten-Chord-Thema mit unterschiedlichen Stimmen, woraus die Skizze entwickelt wurde. Dann editiert man Sachen dazu und dabei etabliert sich dann irgendwann der Gedanke, dass die Nummer einen Text vertragen könnte.

Manchmal ist es ja so, dass man von vorne herein weiß, das wird eine Clubnummer, bei der man sich nicht besonders um den Text kümmern muss. Bei der Nummer Kings & Queens spielte aber schon von Anfang an der Gedanke mit, einen Text dafür zu schreiben. Die Entwicklung läuft dann parallel, auf der einen Seite hat man die Produktionsskizze, mit der ein Text dazu kreiert wird, manchmal auch mit einem Co-Writer. Und auf der anderen Seite gedeiht die Produktion immer weiter. Die beiden Ebenen Text und Produktion schieben sich gegenseitig an, weil der Input von der einen Seite immer in die andere mit einfließt. Beide Elemente verdichten sich dann zunehmend, es wird immer konkreter und die Instrumentierungsmenge, also alles, was an Attraktion in der Nummer stattfindet, ist vorhanden. Anschließend geht es an das Arrangement, also wie diese Attraktionen auf der Zeitachse verteilt werden. Dann wird das Ganze gemischt und gemastert und ist schließlich fertig.

Die Zeitdauer für eine Nummer ist dabei ganz unterschiedlich, manchmal reichen wenige Tage, andere Tracks werden auch erstmal zur Seite gelegt und Monate später weiter daran gearbeitet, wenn die Zeit dafür reif ist.

Wie lebt ein Fritz Kalkbrenner so? Wie läuft dein Alltag ab?

Da muss man zwischen Arbeit und Nichtarbeit unterscheiden. Shows zu spielen ist einfach ein Teil der Arbeitsanforderung. Das scheint von außen betrachtet vielleicht sehr ungewöhnlich, aber es ist eigentlich sehr straff und duchgeplant. Von den Flügen bis zur Show, wann gehe ich ins Bett etc. habe ich von meiner Agentur einen genauen Zeitplan, was auf mich zukommt. So ist das bei jedem größeren professionellen Künstler, also da ist nicht viel mit überraschen lassen oder Rock n Roll, da würde nur die Qualität darunter leiden.

Wenn kein Showtag ansteht, ist mein Tag ziemlich geregelt. Meine Skizzen mache zu Hause, zur Studiozeit gehe ich um 9 ins Studio und um 17 Uhr wieder raus. Die Skizzen sammle ich über einen sehr langen Zeitraum, manchmal bis zu einem Jahr, in dem auch schon wieder schlechtere aussortiert wurden. Immer wenn ein guter Moment da ist und es gut fließt, halte ich das in meinen Skizzen fest. Im Studio ist dann die Arbeit sehr zielgerichtet und die Tracks werden finalisiert. Nach 20 Jahren Studioarbeit passieren dann auch nicht mehr solche Momente, dass du nicht mehr weißt, wie du nun weitermachen sollst. Natürlich gibt es Problemstellungen, über die man hinwegkommt, aber die sind dann selten so, dass man wie ein Schwein ins Uhrwerk schaut und überhaupt nicht weiß, wie man jetzt weiterkommt.

Du bist seit Jahren ein Jetsetter und hast viele Auftritte. Wie schaffst du das? Was tust du für dein Leben, um mal runterzufahren?

Man tut es einfach. Es gibt Momente, die sind anstrengend und es gibt genauso Momente, die nicht anstrengend sind. Sobald man keinen Stress hat, hat man keinen Stress, so einfach ist das. Meine Tour hat ja schon angefangen, letztes Wochenende habe ich zum Beispiel am Donnerstag in Luxemburg gespielt, am Freitag in Prag und dann zwei Shows in Leipzig. Da reist man viel, lebt aus dem Koffer, dann ist Showtime, muss früh ins Bett und am nächsten Tag wieder früh raus. Das sind lange Tage und da ist natürlich viel Anforderung da. Aber dann kommt man wieder nach Hause und der Stress fällt weg.

Die Leber wächst ja mit den Aufgaben. Wenn ich das vor 15 Jahren aus dem Stand hätte machen müssen, dann wäre das für mich wohl ziemlich viel gewesen, aber man wächst ja über die Jahre in die Arbeit rein. Anfangs sagst du dir: „Wow da sind 400 Leute, das ist schon krass!“ Und irgendwann spielst du dann auch auf Rock am Ring vor 40.000 Leuten und sagst wieder: „Wow, das sind super viele Leute, hoffentlich mache ich heute keine Fehler!“ Dann ist diese Erfahrung da und eine gewisse Hürde genommen, und beim nächsten Mal tut es nicht mehr so weh. Das ist dann natürlich immer noch spannend, aber man scheißt sich nicht mehr so in die Hose, sondern das weicht eher so einer Zuversicht. Man muss auch gewisse Dinge im Gleichmut nehmen können. Bei den Shows kann alles Mögliche passieren, Absagen, Abbruch oder Open-Air-Gewitter. Dann hält dir der Produktionsleiter eine rote Karte hoch, was bedeutet, dass du sofort von der Bühne runter musst. Das muss man halt lernen. Man tut einfach das Beste, was man kann und guckt, wie das Ergebnis geworden ist.

Zum Abschluss noch drei kurze Fragen: Welche Musik hörst du gerade privat am meisten?

Ich höre gerade eine Band aus Austin, Texas, die sich Khruangbin nennt. Das ist so Richtung Thai Funk, rein instrumentelle Musik, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Die Band hat auch gerade vor kurzem ein Album rausgebracht. Dann höre ich Musik im Stil von Ennio Morricone in der Phase nach seinen Western, also italienische Gesellschaftsfilme der frühen 70er Jahre.

Was hast du außer deinen Klamotten immer im Koffer dabei?

Na eher essenzielle Sachen wie Zahnbürste etc.

Was ist deine absolute Lieblingsstadt?

Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, somit ist es die Stadt meiner Kindheit und Jugend. Auch wenn man die Zeit nicht mehr zurückdrehen kann, wäre wohl meine absolute Lieblingsstadt das Ost-Berlin der 80er.

Jede Stadt hat etwas für sich, ist aber trotzdem nicht meine Heimat. Es gibt aber wirklich schöne Ecken, wie Melbourne oder Hong Kong. Montreal ist im Sommer eine sehr schöne Sache, im Winter eher nicht.

 

Fotos: Ben Wolf

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Ajouré MEN Redaktion
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