Wer an Motorsport denkt, der hat Formel 1-Boliden oder Tourenwagen, vielleicht auch noch Motorräder vor dem geistigen Auge. Aber Traktoren? Es ist wirklich kaum zu glauben, aber dabei handelt es sich um Wettbewerbe mit Traktoren, bei denen diese ihre Kraft unter Beweis stellen müssen. Wie kann es auch anders sein kommt auch das Tractorpulling aus den USA. Der Legende nach sollen im Jahr 1940 Bauern ihre mächtigen Maschinen gegeneinander haben antreten lassen. Die Traktoren wurden aneinander gekettet und dann ging das Kräftemessen los. Gewinner war der, der den Gegner wegziehen konnte. Gewissermaßen eine motorisierte Version des Tauziehens. Daher auch der Name – „to pull“ stehet im Englischen für „ziehen“. Allerdings dauerte es manchmal Minuten, bis einer der Traktoren den entscheidenden Vorsprung hatte. Daher wurde nach einer geeigneteren Lösung gesucht die Leistung der Schlepper schneller zu vergleichen.
Es dauerte einige Zeit bis eine Lösung parat war – ein System, das noch heute in Überarbeitung zum Einsatz kommt. Es handelt sich um einen Anhänger, der hinten auf den Rädern und vorne statt der Räder eine Kufe hat. Auf dem Wagen ist ein Gewicht installiert. Genau hier besteht die Möglichkeit das Zusammenspiel von Gewicht und Kraft bei einem Wettbewerb zu messen. Beim Start befindet sich das Gewicht hinten über den Rädern. Je mehr Strecke der Traktor zurücklegt, desto weiter wandert das Gewicht nach vorne und belastet damit die Kufe. Einfacher ausgedrückt: Je weiter der Bremswagen durch den davor gespannten Traktor gezogen wird, desto schwerer wird er. Wenn dann dieses Gewicht noch auf einer Wettkampfbahn, die in erster Linie aus Lehm und Sand besteht, gezogen wird, stoßen auch diese PS-Monster an ihre Leistungsgrenze. Und genau so soll es auch sein. Besonders praktisch:
Je nach Gewichtsklasse der Traktoren lassen sich die Gewichte und das Eigengewicht des Bremswagens variieren. Dadurch können, mit wenigen Ausnahmen, Traktoren jeder Klasse mit demselben Bremswagen zeigen, welche Leistung in ihnen steckt. Das Reglement ist dabei sehr einfach gehalten.Ziel eines jeden Fahrers ist es, den Bremswagen ohne zu stoppen über die gesamte Bahn zu ziehen. Das ist der so genannte „Full Pull” (vollständiger Zug). Schaffen mehrere Teilnehmer in der jeweiligen Klasse einen „Full Pull”, so treten diese unter erschwerten Bedingungen (mehr Gewicht auf dem Bremswagen) im Stechen noch einmal gegeneinander an. Gewinner ist derjenige, der im Stechen die weiteste Distanz schafft. In Deutschland ziehen seit den späten 1970er Traktoren um die Wette. Bereits 1980 gründete sich der DTTO e.V. (Deutsche Trecker Treck Organisation). Als Dachverband hilft er Veranstaltern bei der Ausrichtung solcher Events und stellt Sicherheitsvorschriften zusammen.
Das Reglement, nach amerikanischem Vorbild, fasst Fahrzeugklassen zusammen und richtet die Deutsche Meisterschaft aus. Sicher, wenn Groß gegen Klein antreten würde, dann hätten die Zuschauer ihr Vergnügen. Doch nach wie vor geht es beim Traktorpulling nur um eines: den direkten Leistungsvergleich der Traktoren. Daher werden die Traktoren in unterschiedliche Klassen eingeteilt. Es beginnt mit der „Standart“-Klasse. In ihr fahren Traktoren, die so auf jedem Bauernhof zu finden sind. Sie sind nicht speziell für das Traktorpulling gebaut und dürfen auch nicht von der Motorenleistung von der Serienversion abweichen. Die nächste Klasse nennt sich „Sport Klasse”. Hier handelt es sich im Prinzip um normale Traktoren, allerdings dürfen hier die Motoren getunt und andere Kraftstoffsysteme oder Turboaufladungen verwendet werden. Bei der „Pro Stock”-Klasse basieren die Traktoren auf Serienschleppern, maximal ein Turbolader und Dieselkraftstoff ist vorgegeben. Die nächst höhere Klasse ist die „Super Stock“-Klasse. Vorgegeben ist hier der Serien-Motorblock, die Position des Motors im Chassis. Das Aussehen darf nicht verändert werden. Bereits hier hat der Traktor nicht mehr viel mit einem Serientrecker gemeinsam. Unter den Hauben befindet sich edelste Renntechnik.
Die Königsklasse aber ist die „Freie“-Klasse. Hier tummeln sich reine Renntraktoren Marke Eigenbau. Ein spezieller Rahmen mit Rädern, auf dem ein oder mehrere Motoren montiert wurden und ein Stahlkäfig zum Schutz, in dem der Fahrer des Vehikels steuert. Da diese „Trecker” mit hoher Geschwindigkeit und hohen Drehzahlen fahren, sind die Reifen dementsprechend häufig groß, um möglichst viel Reibung auf dem Boden zu bringen. Freie-Klasse-Traktoren werden oftmals mit Methanol oder anderen leicht verbrennbaren Spezialkraftstoffen befeuert. Leistungen von mehr als 8000 PS sind dabei keine Seltenheit. Das Gelände des mehrfachen Deutschen Meisters und Europameisters im Traktorpulling, Heinz-Josef Hörstkamp, ist traditionell Austragungsort für den ersten Lauf zur Deutschen Meisterschaft. Dass diese Veranstaltung als größte ihrer Art in Deutschland einen hervorragenden Ruf in der ganzen Welt genießt, belegen eindrucksvoll die hohe Besucherzahlen an dem Renn-wochenende. Motorsportbegeisterte aus ganz Europa und vereinzelt aus den USA reisen an.
Was auf einem “präparierten” Acker im Garten der Hörstkamps vor vielen Jahrzehnten seinen Anfang nahm, hat inzwischen Stadium ähnliche Formen angenommen. Mit Erdwällen und Tribünenanlagen ausge-stattet, fasst die Arena etwa 15.000 Besucher. Das 30 Hektar große Areal bietet den Fans und Teams Camping-Möglichkeiten mit sanitären Anlagen und einem erhöhten überdachten VIP-Bereich mit Cate-ring. Auch die Traktoren haben sich von den anfänglichen Bastelbuden in hochtechnische Monster weiterentwickelt. Der Pulling Sport hat heute eine neue Dimension erreicht, in der mittlerweile Profi-Teams an den Start gehen, die im Jahr an bis zu 40 Veranstaltungen, egal ob im Freien oder in der Halle, teilnehmen. Vereinzelt werden auch Rennen bewusst in die Abendstunden gelegt. Die Atmosphäre und die spektakulären Flammen, die aus den Auspuffanlagen der Motoren schlagen, sind phänomenal.
Mit Spitzenwerte wie 10.000 PS rasen diese Renn-fahrzeuge nicht selten mit über 25 Tonnen am Haken über die Piste. Dies geschieht oft in unter acht Sekunden beim Sprint über die 100 Meter lange Piste. Gefragt ist Motorenleistung und das nötige technische Geschick, um diese wahnwitzigen Leistungen kontrolliert auf die Fahrbahn zu bringen. Als Antriebsquellen ist beliebt, was reichlich Leistung verspricht: Flugzeugmotoren aus dem zweiten Weltkrieg – mit Hubräumen bis knapp an die 40 Liter, V8 Dragster-Motoren, Hubschrauberturbinen, Panzermotoren oder sogar Schiffsmotoren; die Vielfallt der unterschiedlichen Konzepte ist enorm. Auch ist es üblich mehrere Motoren zu koppeln. Für einen leistungsstarken Traktor ist aber neben der eigentlichen Motorenleistung das Eigengewicht, also das Verhältnis von Gesamtgewicht des Traktors und PS-Leistung. Jeder Technik-Fetischist kann sich im Fahrerlager ein genaues Bild machen und den Teams bei den Renn-vorbereitungen über die Schulter blicken. Hier ist der Zuschauer noch gern gesehen.
Bevor sich die „großen” Traktoren am Sonntag ihre PS-Schlacht liefern, sind samstags aber erst einmal die “Kleinen” dran. Die Garden Puller (als Basis dienen aufgemotzte Aufsitzmäher) sorgen schon mal vorab für gute Stimmung. Der Sonntag ist ausschließlich den Top Teams und den Freien-Klassen vorbehalten. Wenn die Prototypen auf die Bahn rollen, bebt der Boden. Nur wer schon einmal zwei Rolls-Royce Griffons-Treibwerke “live “erleben durfte, weiß was dieser markerschütternde Sound bedeutet. Die (zugegebenermaßen) etwas verrückten Konstrukteure bauen die stärksten Motoren in ihre Chassis, die auf dieser Welt jemals konstruiert wurden. Die deutschen Fahrer stellen den Großteil der Wettbewerber, aber es sind auch Piloten aus England, Italien, Dänemark, Holland und Luxemburg am Start und sorgen damit für ein internationales, hochkarätiges Feld. Die Zuschauer bejubeln jeden Full Pull und feiern die Fahrer auf den anschließenden Ehrenrunden. Insgesamt ein Riesengaudi für Jung und Alt, für Motorsportfreaks, genau wie für Familien.
Text & Foto:s Henrik Vormdohre