2004 nahm Maximilian Nepomuk Mutzke für Deutschland am Eurovision Song Contest teil – seitdem sind 13 Jahre vergangen in denen er bewiesen hat, dass er alles andere als eine Eintagsfliege ist. Im Interview sprachen wir mit ihm über seine Karriere und über seine Familie, die ihn ausgleicht, über Rassismus und darüber, warum er niemals in Berlin leben könnte.
Ajouré: Herzlich willkommen in Berlin! Du warst ja schon nun öfters hier, wie findest du unsere Hauptstadt, wie fühlst du dich hier?
Max: Ich habe eben schon zur Fahrerin, die mich vom Flughafen abgeholt hat, gesagt, dass es mich total zur Verzweiflung bringen würde, wenn ich hier leben würde, weil ich aus einem kleinen Dorf komme, indem es keine roten Ampeln gibt. Und wir haben auch keine Parkplatznot. Wenn es bei uns vor dem Haus keinen Parkplatz gäbe, dann würde man das Auto einfach auf den Feldweg stellen, das ist ja hier alles so ausgeschlossen. Wenn wir eine Stunde fahren, dann sind wir schon aus dem Schwarzwald raus und fast in Stuttgart. Hier habe ich alleine vom Flughafen fast 40 Minuten gebraucht und bin gefühlt nur drei Kilometer weit gekommen.
Das ist etwas, das mich geprägt hat. Im Dorf zu leben, im Schwarzwald, und diese Freiheit zu spüren, eben auch nicht aufgehalten zu werden. Für mich kommen Fußgängerampeln ja direkt aus der Hölle, habe ich das Gefühl. Diese Einschränkung, die ich empfinde, wenn ich zum Beispiel aus dem Hotel rausgehe um zu laufen und nach 30 Metern schon an einer Ampel stehen bleiben muss, 100 Meter später wieder und dann nach 50 Metern erneut, dann hat das alles für mich so gar keinen Sinn.
Nichtsdestotrotz muss ich sagen, dass ich mittlerweile für mich auch einen Überblick bekommen habe, weil ich hier auch produziert habe und viele meiner Freunde in Berlin leben, bei denen ich privat auch mal übernachte. Dann kommt man natürlich auch anders in Berlin an, weil man deren Ecken, Kneipen und Restaurants kennenlernt und so ganz anders in Berlin sozialisiert wird. Das macht dann auch wirklich Spaß. Ich mag Berlin, aber hier leben könnte ich nicht.
Ajouré: Vor einer Woche saßen wir hier in Berlin im Rahmen des „Wohnzimmerkonzerts“ schon einmal zusammen, wo du über das ein oder andere gesprochen hast, was mich persönlich sehr getroffen hat. Berlin ist ja sehr multikulturell, was man vom Schwarzwald und Süddeutschland nicht unbedingt immer behaupten kann. Wie sehr stößt du hier auf das Thema Fremdenfeindlichkeit? Du hast ja mit deiner Familie eine ganz andere Verbindung zu dem Thema…
Max: Das kann ich zum Glück von mir zu Hause nicht bestätigen. Meine Frau kommt ja aus Ostafrika und wir haben eine kleine bunte, wuselige Familie. Natürlich ist Rassismus ein Thema bei uns zu Hause, über das wir reden. Wir müssen unseren Kindern erklären, dass es Menschen gibt, die andere aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, politischen Meinung oder die ihnen wie auch immer fremd sind, abwerten, ohne sie überhaupt zu kennen und ohne zu wissen, wie sie sozialisiert sind. Und das muss man den Kindern erst einmal klarmachen, dass es das überhaupt gibt. Sie verstehen das mit ihren Kinderherzen gar nicht, dass man fremde Menschen einfach blöd findet. Und noch schlimmer: Man findet sie nicht einfach blöd, sondern man findet sie verachtenswert oder bespuckt vielleicht sogar mal einen, dem anderen haut man einen auf die Fresse oder man zündet ein Flüchtlingsheim an. Wie auch immer – das ist ganz, ganz gravierend.
Ich glaube, dass Rassismus immer damit zu tun hat, dass Leute etwas hassen, das sie gar nicht kennen und vor Fremdem Angst haben. Bei uns im Schwarzwald ist es sehr überschaubar, da kennt man sich. Viele kennen auch mich und meine Familie, wir leben schon seit drei Generationen dort. Wir sind den Leuten also nicht fremd und erfahren daher auch keinen Rassismus. Wir sind aber auch sehr multikulturell, in den Klassen gibt es viele Kinder mit Migrationshintergrund verschiedenster Nationalitäten. Wir haben eine große türkische, aber auch italienische, russische und marokkanische Community. Durch die Flüchtlingsheime, oder Container muss man ja eher sagen, sind natürlich auch ganz viele Afrikaner da. Wir sind schon sehr fortschrittlich, das glauben viele gar nicht.
Nichtsdestotrotz sollte Rassismus immer ein Thema sein, über das man sprechen sollte. Man sollte sein Umfeld auch immer aufklären und in wirklich jeder Situation den Mund aufmachen – egal, ob beim Stammtisch, im Taxi, im Freundeskreis oder auf der Arbeit. Wenn Aussagen fallen, bei denen man denkt, das stimmt so nicht oder das sei rassistisch oder aus Dummheit so daher gesagt, dann sollte man unbedingt einschreiten und zumindest seinem Umfeld klarmachen: „Hey, wenn ich in der Nähe bin, dann lasst nicht so eine Scheiße ab, sonst werden wir immer eine Diskussion haben. Lasst keine dummen Sprüche ab!“ Das finde ich sehr wichtig, denn das ist ein Auftrag, den man sich selber machen kann.
Ajouré: Du warst kürzlich sehr begeistert von jemandem, der in Potsdam dein Konzert in Gebärdensprache übersetzt hat. Hast du das selber organisiert und wie wertvoll sind dir solche Momente?
Max: Das ist das erste Mal mit dem Babelsberger Filmorchester gewesen. Das Konzert fand im Nikolaisaal statt und die Gebärdensprachlerin wurde, glaube ich, auch vom Team dort organisiert. Sie war so cool und hat sogar in Gebärdensprache getanzt, sie ist wirklich sehr musikalisch. Sie kannte all meine Texte und hat sich vorab richtig mit dem Konzert auseinandergesetzt. Beim Singen bewege ich mich ja auch und sie stand neben mir. Das waren dann so fließende Bewegungen von uns und hatte etwas von Kampfkunst, das hatte etwas total Gutes.
Ich bin sowieso immer so, dass, wenn mir etwas angeboten wird, das mir fremd erscheint und ich Zweifel habe, es dann eher mache, als wenn ich etwas schon kenne und Zweifel habe, weil die dann womöglich begründet sind. Wenn ich etwas nicht kenne, kann es ja total geil werden. Und in dem Fall war es tierisch gut und ich würde so etwas gerne öfter machen. Ich glaube auch, dass es dem Publikum gefallen hat.
Ajouré: Seit letztem Jahr ist dein Album „Experience“ draußen und im April hast du dein Programm in der Elbphilharmonie gespielt. Wie ist das, in so einem großen Saal zu spielen?
Max: Die Elbphilharmonie ist momentan das begehrteste Haus der Welt. Wenn du dort rein willst und du kennst niemanden, der dort spielt, dann hast du so gut wie keine Chance, in den nächsten eineinhalb Jahren da hineinzukommen, weil schon alles ausverkauft ist. In diesem Raum wurde noch keine Geschichte geschrieben, nicht so wie in anderen berühmten Sälen, wo du weißt, wer schon alles vor dir auf dieser Bühne stand – von Ray Charles bis Frank Sinatra. Jetzt steht man in einem neuen Raum und weiß, hier wird definitiv noch viel Geschichte geschrieben. Wenn man dann in den ersten vier Monaten dabei sein darf, dann ist das natürlich total geil. Und auch das Projekt, mit dem wir dort gespielt haben, nämlich mit der großen Radio-Philharmonie des NDR – wir waren so 70, 80 Leute auf der Bühne – war ein unglaublicher Aufwand, denn ich habe nur meine eigenen Songs gespielt, die neu arrangiert wurden. Alleine der logistische Aufwand, der dahinterstand, war enorm.
Ajouré: Was ist dein Lieblingssong auf deinem Album und welche Message hat er?
Max: Das ist schwer zu sagen. Das ist wie mit seinen Kindern – da kann man auch nicht sagen, welches einem das liebste ist. Bei den Songs ist das ähnlich, wenn auch nicht ganz so konsequent. Da gibt es Lieder, die hat man am Anfang ganz gut gefunden und mit der Zeit findet man sie dann nicht mehr ganz so stark, wie man dachte. Man hat sich auch emotional davon gelöst und spielt sie daher auch nicht mehr live.
Es gibt tatsächlich zwei Nummern, wenn nicht sogar vier, die einen total berühren, zumal sie autobiografisch sind. Das ist einmal „Schwarz auf Weiß“, den ich bereits vor meiner kommerziellen Karriere noch als Schüler geschrieben habe. Damals ging es eben noch nicht darum, einen Song zu schreiben, der auch mal im Radio laufen und einem Erfolg bringen soll, sondern den hat man damals einfach für seine Schülerband geschrieben. Den Song habe ich beim LKW fahren geschrieben, als ich einen Ferienjob auf der Baustelle hatte. Das war ein geiler Job, man musste gar nicht weiter nachdenken, ist den ganzen Tag einfach nur rumgefahren und da habe ich diesen Song geschrieben. Ich habe mir gedacht, das ist ein Song, der schon vor der Karriere da war und den ich seit 13 Jahren fast jeden Abend spiele. Deshalb ist er mit dabei und ich habe eine sehr große Leidenschaft zu ihm. In dem Song geht es auch um diese Frau, mit der ich eine Familie habe.
Ein weiterer Song, den ich geschrieben habe, heißt „Hier bin ich Sohn“. Darin geht es um meine Mutter, die vor drei Jahren an einer schweren Krankheit gestorben ist. Die Krankheit wird oft nicht als Krankheit gesehen, sondern als Problem, von dem die Person betroffen ist. Es ist schwer zu akzeptieren, dass das eine Krankheit ist. Wenn so ein Song dann auch noch mit einem so großen Orchester begleitet wird, kommt eine ganz andere Emotionalität rüber.
„Welt hinter Glas“ ist ja einer meiner bekannteren, deutschen Songs. Da war ich zunächst etwas unsicher, wie er in der Orchester-Version klingen wird, da er im Original ja sehr poppig ist. Aber er hat dadurch eine Größe bekommen – wie so eine Barbara Streisand-Nummer. Wie dieser Song geworden ist, war mit einer der größten Überraschungen in diesem Projekt. Es gibt also schon ein paar Nummern, an denen man sich auf der Bühne erfreut.
Ajouré: Auf Facebook hast du vor dem Konzert ein Gewinnspiel gestartet und dem Gewinner die Möglichkeit gegeben, deinen Song „So viel mehr“ mit dir als Duett zu singen. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Max: Ich habe schon mit mehreren Künstlern auf der Bühne gestanden und dachte mir, dass es auch cool wäre, jungen Leuten die Chance zu geben. Wir reden ja jetzt auch nur von einem kleinen Facebook-Aufruf für einen einzigen Live-Auftritt und nicht von einer riesigen Fernsehshow, bei der man berühmt werden kann. Dennoch wollte ich jemanden auf die Bühne holen, mit dem das richtig geil wird. Aussehen, Performance und Attitüde sollten nicht im Vordergrund stehen, sondern die Stimme und wie der Song rübergebracht wird. Das fand ich an der Sache ganz reizvoll. So etwas habe ich vorher noch nie gemacht.
Ich selber bin ja auch durch eine Castingshow der Öffentlichkeit bekannt geworden und habe dahingehend auch schon viele Anfragen bekommen, ob ich nicht einmal in der Jury einer Castingshow sitzen möchte. Aber darauf habe ich absolut keinen Bock. Das ist so anmaßend und Tagesform abhängig – sowohl von mir als auch von den Teilnehmern, dass man vielleicht sogar jemanden wegschickt, der eigentlich total gut ist, was aber durch die gegebenen Bedingungen nicht zum Vorschein kam.
Ajouré: Du bist in der Kultserie „Dittsche“ zu Gast gewesen, du hast schon mehrere Songs für Film und Kino gemacht, du bist in dem großen Saal der Elbphilharmonie aufgetreten, warst für den Echo Jazz nominiert und vieles mehr. Was ist das Geheimnis deines Erfolgs?
Max: Man kann ja nur sagen, dass ich erfolgreich bin, wenn man voraussetzt, dass Casting-Teilnehmer normalerweise nach ein, zwei Jahren weg vom Fenster sind. Da habe ich das große Glück gehabt, dass das seit 13 Jahren nicht der Fall ist. Das merke ich auch an meinem Terminkalender, Kontostand, Zuschauerzahlen und an den Formaten, wie z.B. Talkrunden, zu denen ich eingeladen bin, dass es für mich stätig Wachstum gibt. Das ist natürlich ein schönes Gefühl, aber ich glaube, das sind mehrere Dinge, die da zusammenspielen.
Zum einem mache ich schon mein ganzes Leben lang Musik, man kennt mich zwar erst seit 13 Jahren, aber ich mache seitdem ich sechs bin Musik – also fast 30 Jahre. Außerdem bin ich in einer Familie aufgewachsen, in der Musik allgegenwärtig war. Wir sind zu super vielen Konzerten gegangen und meine Mutter hat Theater gespielt. Wir haben alle ein Instrument gespielt, hatten zu Hause einen riesigen Proberaum, wo alle Instrumente aufgebaut waren und man konnte sich wohin man wollte ransetzen. Ich habe ganz früh meine ersten Schülerbands gehabt, mein Vater hatte selber auch eine Hobby-Band, bei deren Auftritten wir als Vorprogramm auftreten durften.
Musik ist das Hobby, was mich mein ganzes Leben lang so richtig intensiv begleitet hat. Andere Hobbies, wie Sportarten, habe ich zeitweise mal intensiver gemacht, dann aber wieder aufgehört. Aber Musik war von der ersten Sekunde wesentlicher Bestandteil meines Lebens und auch unseres Familienzusammenlebens; das ist wie ein festes Fundament und ich glaube, das ist, was die Leute verstehen.
Außerdem habe ich mit einem Management zusammengearbeitet, das mit mir kein Geld verdienen musste. Sie haben mit anderen viel mehr verdient, ich war sozusagen ein leidenschaftliches Hobby von Stefan Raab. Das war cool, aber ich habe mich deshalb auch von ihm getrennt, weil ich gemerkt habe, dass ich eben nur ein Hobby von ihm war. Ich habe manchmal Wochen darauf warten müssen, bis wir musikalisch wieder was gemacht haben, weil er so eingespannt war. Aber das war dennoch cool, weil das Management jemanden in ihrer Show finden wollte, von dem man auch noch in zehn Jahren etwas hört und dafür muss man so eine Karriere ganz feinfühlig aufbauen. Man darf nur Preise entgegennehmen, die wertvoll sind, man darf nur mit Leuten zusammenarbeiten, die ein gutes Image haben, man geht nur auf Events, die cool sind und auch nur, wenn man Teil der Veranstaltung ist – entweder, weil man nominiert ist oder dort auftritt. Wenn ich irgendwo zu sehen bin, dann hat das Hand und Fuß, ich bin nicht der „Roter-Teppich-Mann“.
Ich glaube, das sind ganz viele Dinge, auf die man achten muss. Aber zum Glück bin ich auch niemand, der die Öffentlichkeit sucht. Ich verstehe die Leute, die gerne nach Berlin kommen und Kino-Premieren, etc. besuchen. Aber ich bin dann doch lieber daheim im Schwarzwald, wo ich Holz im Wald mache und wo ich an meinem LKW bastle. Ich fliege dann ab und an nach Berlin, wenn ich etwas machen darf.
Ajouré: Du hast ja ein sehr zeitintensives Berufsleben. Wie bekommst du das mit deinem Familienleben vereint? Leidet das ein oder andere darunter?
Max: Man merkt manchmal schon, dass das an allen nicht so spurlos vorbeigeht, wenn man so viel unterwegs ist. Meine Kinder sind jünger als meine Karriere, die sind da mit reingeboren und kennen mich so. Meine Kleinen dachten früher immer, ich arbeite am Flughafen, weil sie mich dort immer so oft abgesetzt und drei Tage später wieder abgeholt haben. Zuhause möchte ich dann aber auch gar nichts mit Musik zu tun haben, da mache ich andere Dinge mit der Familie. Wo es schwieriger ist, ist es mit der Partnerschaft. Man muss echt darauf achten, dass man nicht immer nur alleine unterwegs ist oder mit der Familie, sondern eben auch mal nur zu zweit.
Ajouré: Hast du Vorbilder oder Mentoren?
Max: Ich habe nie klassische Vorbilder im Sinne von: „ich will genauso sein wie Person XY“ gehabt. Dennoch gab es viele Menschen, die mich inspiriert haben. Einflüsse von außen jeglicher Art sind enorm wichtig. Das merke ich auch jetzt bei meinen Kindern, wie sie davon profitieren, dass wir eine eritreische Community haben, wo wir gemeinsam essen und Kaffee trinken. Das sind ganz andere Geschmäcker und Verhaltensregeln – eine ganz andere Mitmenschlichkeit, die den Horizont erweitert. Deshalb sind Einflüsse von außen lebenswichtig.
Ajouré: Ich habe drei Anfänge eines Satzes und du darfst sie vervollständigen.
Familie ist …
Max: … das absolute Pendant zu meiner Karriere, die den Druck rausnimmt und mir dabei hilft, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.
Ajouré: Erfolg ist …
Max: … ganz relativ und ganz unterschiedlich zu beurteilen. Da gibt es den monetären Erfolg, wie viele Menschen zu den Konzerten kommen und wie oft man im Radio gespielt wird. Das ist alles wichtig – oder auch nicht.
Ajouré: Musik ist …
Max: … nicht nur mein größtes Hobby, sondern auch meine Berufung. Es ist viel mehr als nur Spaß. Es ist auch politisch, eine Sprache, hochemotional und gleichzeitig kann man damit auch ganz viel erreichen. Das macht es auch so wertvoll und lässt es nicht nur als „Spaß-Job“ dastehen.
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