Ich bin ja mit Komparativen immer recht vorsichtig, aber manchmal denke ich mir einfach, dass es noch dämlicher eigentlich gar nicht mehr geht. Und das Lustige daran ist, dass ich ständig eines Besseren belehrt werde, meinen Komparativ durch einen Superlativ ersetze und ich dann da sitze und mich frage, wie denn so manche Personen jetzt schon wieder in der Lage waren, so viel Dünnschiss zu produzieren und es dabei nicht einmal zu bemerken. Im Gegenteil höre ich ihnen zu und wüsste ich es nicht besser, könnte ich zu dem Entschluss kommen, dass ich die personifizierte Göttlichkeit höchstpersönlich vor mir sitzen habe, die sich erbarmt hat, sich mit mir zu unterhalten. Dieser Person, nennen wir sie einfachheitshalber mal „GOTTfried“, ist nicht nur nichts unangenehm oder peinlich, nein, ihr fehlt es auch an Feinfühligkeit, Talent zur Zurückhaltung im richtigen Moment und Manieren. Dieser Mangel an den Grundpfeilern der Sympathie wird aber zu zweihundert Prozent durch Selbstüberschätzung und affektiertes Gehabe wieder wettgemacht.
Normalerweise würde man sich denken: „Lass Gottfried hocken und geh´.“ Aber so einfach ist das nun einmal nicht immer, denn hin und wieder ist man mit Gottfried ja befreundet, kennt sich schon länger oder ist in irgendeiner Weise geschäftlich mit ihm verbandelt. Also bleiben nicht viele Möglichkeiten, außer auf „Durchzug“ zu stellen, wenn er mal wieder seine unangebrachte Schiene fährt und sich selbst zum Affen macht. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum ist man so wie ein Gottfried? Woher kommen diese gnadenlose Selbstüberschätzung und dieser Drang, ständig im Mittelpunkt stehen zu wollen, selbst wenn dieser unerreichbar weit oben ist und der Versuch, trotzdem dort hochzuhüpfen, einfach albern und affig aussieht? Und denken die Personen um uns herum, dass ich genauso beknackt bin, nur weil ich dabei bin?
Es gibt ja mehrere „gottfriedsche Verhaltensweisen“, die man hier und da beobachten kann und meistens ist es so, dass jeder einen Gottfried im Bekanntenkreis hat. Wie genau der da hinkam, weiß niemand mehr so genau, aber jetzt ist er da, also: Deal with it!
Die typischen Verhaltensauffälligkeiten eines Gottfrieds:
Der Geschäfts-Gottfried: Aus irgendeinem Grund haben wir jemanden kennengelernt, der für uns auf den ersten Blick wie gerufen kommt. Er kennt alles und jeden. Er ist ein Macher. Er kennt sich aus, ist selbstständig und hat Ahnung von dem, was er tut. Zumindest müsste das so sein, denn er ist ja überaus erfolgreich mit seinen Geschäften. Er hat hier ein Geschäft, da ein Geschäft, dort zwei Geschäfte und natürlich noch diverse weitere Geschäfte, die er alle im Griff hat, denn er ist wie der Papst – Urbi Et Orbi und somit der größte Segen der Menschheit. Ihn anzuzweifeln grenze natürlich an Blasphemie. So sitzt man also zusammen und entwickelt eine Geschäftsidee, die natürlich nicht von Gottfried kam, sondern von uns. Gottfried weiß wie gesagt alles und da dies so ist, redet er auch in einer Tour. Selbstverständlich ungefragt. Dummerweise kommt da aber nur intergalaktischer Müll bei raus und wir denken uns, dass sicherlich gleich etwas Brauchbares und Bedeutsames von seinem Unterbewusstsein kreiert und veröffentlich werden wird. Etwas, das uns weiterbringt. Nach zwei Stunden bluten uns dann die Ohren, die Informationen, die Gottfried von sich gibt, werden längst nicht mehr von uns aufgenommen und auch die Elastizität unserer Nerven aus Drahtseilen hat ihren Zenit bei weitem überschritten und ergründet nun völlig neue Regionen in der Unendlichkeit des Unfassbaren. Und so verliert sie sich im Fegefeuer des Kopfschüttelns und des Selbstzweifels bezüglich unserer eigenen Menschenkenntnis. Am Ende stellen wir dann fest, dass Gottfried zwar sicherlich etwas kann, dies aber in keiner Weise zu dem passt, was er von sich gibt. Er hat maßlos übertrieben, die wichtigen Punkte einfach weggelassen und auf unsere Nachfrage nach Unstimmigkeiten fängt er an zu stottern. Ein Aufschneider, der versucht, sich durch das Können anderer zu bereichern, indem er so tut, als wäre er unfassbar erfolgreich. Traurig, wenn dann nach wenigen Momenten das Gegenteil ans Licht kommt und somit unser Vertrauen verspielt wurde. Da wir, anders als Gottfried, keine kompletten Verhaltenslegastheniker sind, wenden wir uns also von ihm ab und suchen das Weite.
Der Freundschafts-Gottfried: Ihn loszuwerden ist nicht unser Ziel, denn er gehört zum festen Bestandteil unseres Freundeskreises. Wir verspüren viel mehr den Drang, ihn und sein Verhalten zu korrigieren, mit dem einfachen Ziel, ein Miteinander ein kleines Stück unauffälliger zu gestalten. Wieso? Weil wir mit einem Freundschafts-Gottfried an unserer Seite alles andere als unauffällig sind. Im Gegenteil, wir könnten, wenn wir mit ihm unterwegs sind, auch ein Schild mit uns herumtragen, auf dem steht: „Hallo – hier sind wir! Gottfried und seine Gefolgschaft“. Das will zwar niemand wirklich wissen, aber das bemerkt Gottfried nicht oder es ist ihm egal. Und so gibt er sich die größte Mühe sicherzustellen, dass auch wirklich jeder weiß, dass er jetzt da ist, bereit, jedem eine nette Geschichte zu erzählen. Vorzugsweise in der „ich-Perspektive“. Denn seine Stories sind die besten. Und wenn du selbst etwas Cooles erlebt hast und dies in der Runde erzählen möchtest, kannst du dir sicher sein, dass im direkten Anschluss Gottfrieds Stimme ertönt und sein Satz wie folgt beginnt: „Digga, ich hab das auch erlebt. Aber viel krasser.“ Und dann geht sie los. Die unendliche Geschichte 3.0. Und niemand, wirklich niemand, schreibt mehr unendliche Geschichten als Gottfried. In diesen Geschichten ist er natürlich der Hauptdarsteller Bastian, ebenfalls sein Alter Ego Atréju und ohne jeden Zweifel auch noch der Glücksdrache Fuchur. Selbstverständlich ist er alle Personen gleichzeitig. Und wenn das noch nicht ausreicht, dann lüftet er das Geheimnis der Kindlichen Kaiserin, welches logischerweise nur er kennt, da er sie ist. So unangenehm wie es manchmal auch ist, so lustig und informativ ist es hin und wieder aber auch. Wir kennen unseren gottfriedschen Pappenheimer und haben uns an sein Dasein gewöhnt. Doch die Momente, an denen wir uns wünschen, er würde mal einen Schritt kürzertreten, häufen sich, denn dummerweise werden wir alle älter und immer schneller wird ein Verhalten unangebracht und schiebt uns in eine Schublade, in die wir nicht hinein möchten. Völlig außer Frage steht, dass der Freundschafts-Gottfried eine große Bereicherung für uns ist, denn das Ein oder Andere hätten wir ohne ihn wohl nicht erlebt beziehungsweise die ein oder andere Person hätten wir nie kennengelernt. Also gilt es, mit ihm gemeinsam an seinem Verhalten zu arbeiten. Eine Aufgabe, die uns ohne Zweifel an Sisyphos und seinen bekloppten Stein am Berg erinnert. Und da Gottfried uns eh nicht ausreden lassen wird, ohne dazwischen zu quatschen, wird schnell klar, dass auch in dieser Geschichte Gottfried vorhanden ist. Nicht als Stein oder sogar Berg – nein, er dürfte dann die Erdanziehungskraft sein, die sowieso für alles an dieser Geschichte verantwortlich ist.
Der Emotions-Gottfried des anderen Geschlechts: Sie ist die Gottfriedin in deinem engsten Umfeld. Hier gilt es allerdings, ein paar Hard-Facts zu unterscheiden, denn sie ist weder falsch noch peinlich. Eigentlich ist sie perfekt. Deshalb ist sie ja auch deine beste Freundin, aber so toll sie ist, so anstrengend ist sie manchmal auch. Warum? Weil sie versucht, dir gottfriedsches Verhalten vorzuwerfen, welches du aber nicht an den Tag legst. Ständig wird an etwas gezweifelt und wenn mal alles rund läuft, findet sie sicherlich einen Weg, wieder irgendwo reinzuscheißen. Der Emotions-Gottfried gehört zweifelsohne zu deinen wichtigsten Menschen, aber manchmal möchtest du sie auf den Mond schießen. Das Problem daran ist, dass dies natürlich keine Lösung wäre, denn selbst vom Mond aus würdest du sie hören und sehen, wie sie dir Blitze entgegenschleudert. Du wartest also ab und weißt genau, dass die Zeit kommt, in der ihr beide wieder eine paar schöne Tage miteinander verbringt, an denen dann alles in Ordnung ist.
Was wäre die Welt nur ohne Gottfrieds…
Kolumne von Daniel Heilig
Eine AJOURE´ ohne Daniel wäre wie ein Perpetuum mobile ohne die Bedeutung der Unendlichkeit. Seit dem Gründungsjahr schrieb Daniel unzählige Artikel und gehört zu den Grundpfeilern in der AJOURE´ Men.
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