Es ist Donnerstagmorgen um 10 Uhr und wir sitzen, wo sollte es auch anders sein, auf der Torstraße zum gemütlichen Kaffee mit Senay Gueler. Wenn man in Berlin jemanden fragt, ob er Senay kennt, so kommt in 9 von 10 Fällen die Antwort: Klar, kenne ich den! Senay ist ursprünglich aus Michelstadt im Odenwald und lebt seit 15 Jahren in Berlin. Er hat es geschafft, in Berlin bekannt zu sein, wie ein bunter Hund. Egal ob in der Clubszene, Filmbranche oder der Fashion-Welt. Senay Gueler ist aus der Berliner Szene nicht mehr wegzudenken. Was hinter dem Familienvater steckt und warum, beziehungsweise wie man so bekannt wird, verrät er uns im Interview.
Ajouré: Wie viel Stunden schläfst du im Schnitt?
Senay: Ich schlafe sogar relativ viel, aber ich komme natürlich mit sehr wenig Schlaf aus. Heute Nacht habe ich beispielsweise zwei bis drei Stunden geschlafen und dann meine Kinder fertiggemacht, das ist kein Problem. Eigentlich brauche ich aber mindestens fünf bis sechs Stunden Schlaf, um einigermaßen fit zu sein. Wenn es sein muss, komme ich aber auch mit weniger zurecht.
Ajouré: Man hat das Gefühl, dass du am Tag mehr Zeit hast als andere, denn du bist omnipräsent. Du bist erfolgreicher DJ, Model, Schauspieler, unter anderem in der neuen Serie „4 Blocks“, du drehst Werbespots und du bist Testimonial. Da fragen wir uns: Was ist dein Erfolgsrezept?
Senay: Mein Erfolgsrezept ist, dass ich keins habe. Ich hatte nie den Plan, bekannt oder berühmt zu werden. Der Plan war zunächst nach meiner Midlife-Crisis Dinge zu tun, die ich auch wirklich machen möchte, an denen ich Spaß habe und die ich problemlos jeden Tag gerne mache. Nach zehn Jahren im Büro für Universal Music ist mir klargeworden, dass ich das nicht möchte. Ich habe mich zwar in der Musikbranche extrem wohl gefühlt, aber ich bin kein Büromensch und kein Nine-to-Five-Arbeiter. Immer den gleichen Ablauf zu haben geht für mich nicht. Also habe ich mich auf das Auflegen als DJ konzentriert. Das wollte ich solange machen, bis ich weiß, was ich machen möchte. Das hat so gut funktioniert, dass ich durch das Auflegen immer bekannter geworden bin, nicht unbedingt in der Club-Szene, aber im Event-Bereich. Die Leute haben gemerkt, dass ich wandelbar bin und viele verschiedene Richtungen spielen kann.
Das Nächste, was kam, war durch einen Freund von mir, einen Fotografen aus Köln. Wir haben mit betrunkenen Köpfen entschieden, dass er Fotos von mir machen sollte. Das Bild hat er dann veröffentlicht und es ist so gut angekommen, dass mich Leute gefragt haben, ob ich modeln möchte. Viele Dinge habe ich aber auch, beispielsweise aufgrund meines Stolzes, abgelehnt – wie zum Beispiel einige Angebote von „Berlin Tag und Nacht“. Außerdem habe ich noch viele Angebote aus dem Tattoo-Bereich ausgeschlagen, weil ich mir damit meine Arbeit im Fashion-Bereich erschwert hätte.
Das kam bei den Leuten sehr gut an, weil ich authentisch wirkte und nicht so, als würde ich mein Gesicht krampfhaft in die Kamera pressen, deswegen habe ich dann viele Angebote erhalten, die ich auch angenommen habe. Außerdem haben mir noch Promis geholfen, mit denen ich befreundet war. Wenn wir uns getroffen haben, habe nicht ich davon die Bilder gepostet, es war eher umgekehrt. Das gibt dir eine andere Wertigkeit, denn dann bist du nicht der Typ, der irgendwie bekannt werden will, sondern du bist ein cooler Typ, der trotzdem sehr präsent ist, weil sie dich als Person mögen.
Ajouré: Könnte man jungen Leuten hier in Berlin dann den Tipp geben: Mach das, was du liebst und mach es nicht für das Geld? Ist das vielleicht das Erfolgsrezept?
Senay: Das ist das Wichtigste. Mach nicht irgendetwas nur um ins Fernsehen zu kommen, sondern mach das, was das du kannst, wo du auch zu hundert Prozent dahinter stehst. Du musst sagen können: Das bin ich – zu einhundert Prozent! Und genau das musst du dann auch durchziehen. Irgendwann zahlt es sich aus, wenn man sich selbst treu bleibt, weil man dann nicht als langweiliger Mitläufer abgestempelt wird. Das beste Beispiel ist mein Bart, den ich schon seit elf Jahren habe – den habe ich übrigens wegen meiner Kinder. Mein Großer hat mich mal gefragt, ob ich mir nicht einen Bart wie ein Pirat wachsen lassen kann. Ich bin schon viele Phasen durchlaufen, die Hipster-Phase und auch die Holzfäller-Phase, aber auch wenn die Leute sich mittlerweile den Bart wieder abrasieren, werde ich meinen Bart auf jeden Fall behalten. Dadurch sehen die Leute, dass du echt bist und das ist genau das, was sie sehen wollen.
Ajouré: Wenn du einem fremden Menschen erzählen müsstest, wer du bist, wie würde sich das dann anhören?
Senay: Das ist immer sehr schwierig, es ist genau wie die Frage, ob ich berühmt bin, denn das kann ich persönlich nicht beurteilen. Genauso wenig kann ich beurteilen, ob ich gut in dem bin, was ich mache, denn das müssen andere Leute beurteilen. Mit dem Aussehen ist es genau das Gleiche – ich sehe vielleicht nicht durchschnittlich aus, aber mehr als lange Haare und einen Bart habe ich auch nicht. Meine Mutter hat allerdings immer etwas Schönes gesagt, wenn sie auf mich angesprochen worden ist, weil ich schon immer so war und ein wenig aus der Reihe getanzt bin. Sie meinte: Der Typ ist zwar äußerlich bunt, aber innerlich sauber. Ich bin sehr deutsch aufgewachsen, in einem kleinen Dorf und habe einen starken Sinn für Kultur und für das Zwischenmenschliche, sowie das Zusammenleben. Aber ich komme auch aus einer Vollblut-türkischen Familie, das heißt: unser Temperament ist auch etwas anders. Die Wertvorstellungen in der Türkei unterscheiden sich dann doch ein bisschen von den deutschen.
Ajouré: Auf deiner Hand sieht man ein sehr offensichtliches Tattoo: einen Bärenkopf mit einem Hirschgeweih – was steckt hinter diesem Tattoo?
Senay: Das Tattoo kombiniert einfach nur meine Herkunft und meine Heimat. Das liegt daran, dass der Hirsch im Odenwald das Wappentier ist und ich habe, wie bereits erwähnt, viel aus dem Odenwald mitgenommen. Der Bär steht natürlich für Berlin – meine große Liebe. Ich kam das erste Mal 2001 nach Berlin und habe mich direkt in die Stadt verliebt. Ich glaube, ich habe etwas geschafft, das viele Leute nicht so hinkriegen und das ist, als Nicht-Berliner als Berliner anerkannt zu werden. Das war anfangs schwierig, wenn man kein Ur-Berliner ist. Ich bin mittlerweile ein Berliner Gesicht, obwohl ich nicht hier geboren wurde. Ein Berliner Freund hat mal etwas sehr Schönes gesagt. Er meinte, der Grund, dass es bei mir so gut funktioniert, ist, dass ich Berlin viel wiedergebe. Egal, wo ich bin und was ich mache – ich halte immer die Berliner Flagge hoch. Das zahlt die Stadt dir dann irgendwann zurück. Ich habe zum Beispiel eine Einladung von der britischen Botschaft bekommen, die für mich ein Meilenstein ist. Als Prinz William und Kate kürzlich nach Berlin kamen, wurden Leute eingeladen, die Berlin widerspiegeln sollen, damit die beiden sich ein Bild davon machen können. Im Bereich Musik wurde ich für dieses Ereignis ausgesucht. Es ist für mich sehr krass, dass ich mittlerweile auch international als Berliner Gesicht gelte. Für mich ist das so etwas wie ein Ritterschlag.
Ajouré: Wir kennen uns ja schon eine ganze Weile und ich habe dich noch nie schlecht gelaunt gesehen. Wo kommt diese positive Gelassenheit her?
Senay: Ich bin allgemein ein sehr glücklicher Mensch, ich versuche zumindest immer einer zu sein. Wie jeder Künstler und emotionale Mensch habe ich natürlich auch meine Tiefen. Das Ding ist: diese Tiefen darfst du dir in unserem Job nicht leisten. Wir stehen für gute Laune und ein besonderes Lebensgefühl.
Natürlich habe ich auch mal schlechte Laune und ich kann auch richtig böse werden, aber in diesen Fällen ziehe ich mich oft zurück, beispielsweise zu meiner Familie oder um komplett für mich alleine zu sein. Selbst wenn ich mal schlechte Laune habe, ist es mir wichtig, dass ich mein Umfeld positiv beeinflusse. Das versuche ich auch mit meinen Fotos und meiner Musik zu machen, denn ich möchte, dass die Welt ein bisschen besser wird. Die Energie ziehe ich auch daraus, da ich ein absoluter Menschenfreund bin.
Ajouré: Das heißt, es gab auch schon andere Zeiten – wie hast du diese gemeistert? Hast du vielleicht Tipps für Menschen, die dieses Interview lesen und auch gerade eine schlechtere Zeit haben?
Senay: Wichtig ist zuerst, dass du dein Problem erkennst, du musst zugeben, dass du ein Problem hast. Das Zweite, was mir sehr schwer gefallen ist: dass du um Hilfe bittest. Ich hatte meine Höhen und meine Tiefen, ich war relativ weit oben, in meiner Zeit bei Universal als Produktmanager und Künstlerbetreuer, und es war alles cool. Danach kam dann der Absturz mit meiner Kündigung und meiner Scheidung, ich bin auf der Straße gelandet und habe Rechnungen nicht bezahlt, es war das typische Aufgeben. Das war allerdings keine Option, weil ich zwei Kinder hatte. In erster Linie hat mir dann eine sehr gute Freundin geholfen, die gesehen hat, dass es mir wirklich schlecht ging. Sie hat dann gesagt, dass ich zu ihr kommen soll, bis ich wieder auf die Beine komme. Außerdem hat mein Wille weiterzumachen mir stark geholfen und die Entscheidung, dass ich Sachen machen möchte, die mir Spaß machen. Es war aber auch wichtig, dass ich dann drangeblieben bin. Der zweitwichtigste Faktor war natürlich meine Frau Eva, die sehr auf mich achtet, bis zum heutigen Tag. Tiefen gibt es immer wieder, es ist wichtig, dass du zu schätzen weißt, was du hast und ein bisschen demütig bist. Es gibt immer wieder gute Jahre und ich habe viele Leute gesehen, die einen guten Lauf hatten, aber dadurch zum Arschloch mutiert sind. In Berlin sind wir alle eine große, glückliche Familie, aber wenn du die Hose dann runterlässt, ist die Schlange, die hinter dir steht, weil sie dich gerne f***en würde, sehr lang. Das ist auch eine Sache, die du lernen musst: Dieses unnötige Nettsein habe ich mir abgewöhnt, du musst den Leuten zwar nicht vor den Kopf stoßen, aber man kann auch freundlich nein sagen. Es kann sein, dass die Leute dir dann eine Weile böse sind, eine Woche später freuen sie sich aber, dass du zumindest ehrlich warst.
Ajouré: Es gibt den Mythos, dass du mal am Boden gewesen sein musst, um deinen Erfolg und deine Größe zu schätzen zu wissen. Würdest du hinter dieser Aussage stehen, da du ja beide Seiten gut kennst?
Senay: Das hängt meiner Meinung nach vom Menschen ab. So ganz stimmt sie nicht. Ich kenne Menschen, die sehr in sich selbst ruhen und sehr erfolgreich sind und die noch nicht am Boden waren. Für Leute wie mich ist es allerdings wichtig, ich musste mal durchgeschüttelt werden, um wieder zu merken, wo oben und wo unten ist. Es hilft bestimmt und es bildet auch ein bisschen den Charakter, aber ich glaube nicht, dass es passieren muss, damit du deinen Erfolg zu schätzen weißt. Wenn du vorher ein Arschloch warst und abstürzt, bleibst du auch ein Arschloch.
Ajouré: Gibt es Träume und Wünsche, die du dir noch erfüllen willst?
Senay: Natürlich gibt es die. Das sind sogar völlig spießige Träume. Ich möchte ein stinknormales Familienleben haben, also ein Haus mit Garten und Hund und am Sonntag grillen – also das komplett Normale, wovon jeder träumt. Die zweite Sache, die bei mir auf der Agenda steht, ist, dass ich noch unglaublich viel von der Welt und ihren Menschen sehen will, da ich so ein unglaublicher Menschenfreund bin. Das Reisen steht ganz oben auf meiner Liste und ist mir bis jetzt leider ein bisschen verwehrt geblieben.
Ajouré: Wohin geht deine Reise, was können wir von dir noch sehen?
Senay: Das Gute bei mir ist, dass ich grundsätzlich nicht plane, das Leben passiert mir einfach und ich gucke, was auf mich zukommt. Genauso wie das Interview jetzt, das ist beispielsweise eine Sache, die ich toll finde, wenn sich Leute so für mich, und das was ich mache, interessieren. Ich hoffe, dass ich in der Serie „4 Blocks“ wieder eine Rolle bekomme. Die Schauspielerei würde ich gerne weiterverfolgen. Ich bin zwar kein Schauspieler, aber kleine Nebenrollen machen extrem viel Spaß. Musikalisch wird es auch weitergehen, ich werde natürlich noch weiter auflegen. Ich kann das zwar aufgrund meines Alters nicht mehr ewig machen, aber der nächste Schritt wäre daher natürlich, etwas Eigenes zu produzieren. Ich habe neulich eine Single produziert, die ganz gut angekommen ist. Ich arbeite da mit einem guten Freund von mir zusammen, der mir das Produzieren näherbringt und mir ein wenig hilft. Ansonsten werde ich kleine Fernsehgeschichten und im Bereich Werbung auf jeden Fall weitermachen. Den Rest lasse ich einfach auf mich zukommen.
#daddycool
Ajouré: Zum Abschluss haben wir noch drei Senay-Berlin-Fragen für dich: Dein aktuelles Lieblings-Restaurant in Berlin ist?
Senay: Ein klitzekleiner Araber bei mir um die Ecke, bei dem ich ein- bis zweimal die Woche bin. Außerdem noch das Chicago Williams, weil Fleisch für mich ein Muss ist.
Ajouré: Dein Lieblings-Club ist?
Senay: Das hat weniger etwas mit dem Club als mit den Menschen zu tun, bei denen ich mich wohl fühle. Mein Wohnzimmer ist und bleibt das Sodom und Gomorra. Ansonsten bin ich eher der Bar-Typ. Wenn ich privat weggehe, dann lieber da, wo ich Freunde treffe. Da mag ich beispielsweise das Kitty Cheng.
Ajouré: Dein Lieblingsort zum Abschalten?
Senay: Zu Hause fühle ich mich einfach am wohlsten, wenn Familie und Kinder anwesend sind: Mein Zuhause ist mein Happy-Place und mein Rückzugsort.
Ajouré: Vielen Dank für das coole Interview.
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Fotos: Manuel Cortez