AjoureLifestyleKolumne: Ignoranz und Egoismus – „The Black Sheep Effect“

Kolumne: Ignoranz und Egoismus – „The Black Sheep Effect“

So einen Charakter wie mich gibt es wohl in vielen Familien, zumindest rede ich mir das immer wieder ein. Vielleicht nicht so ausgeprägt, dafür aber wenigstens im Ansatz ähnlich. Das designierte „Schwarze Schaf“. Was uns ausmacht? Gleichgültigkeit mit einem Hang zum Egoismus. Ist das etwas Schlechtes? Nein. Warum? Weil es uns dabei ganz gut geht und wir so handeln, dass möglichst alles Negative an uns vorbeigeht oder abprallt – so wie bei einer Teflonpfanne, denn an ihr bleibt auch nichts kleben. Wir tun nicht nur so, als wären uns diverse Dinge scheißegal – sie sind es tatsächlich (mit den Jahren geworden). Wie es soweit kommen konnte, ist bei jedem anders, aber in der Regel gehen viele unnötige Diskussionen, Enttäuschungen und andere Erfahrungen voran, die uns am Ende des Tages lehrten, dass es in erster Linie um uns selbst zu gehen hat, wir manche Menschen einfach nicht verbessern können und wir diverse Dinge einfach zu akzeptieren haben – aber eben bei weitem nicht alles.

Da ich zum Thema „Black Sheep Effect“ kein größeres Paradebeispiel als mich persönlich kenne, kann ich diesen Wesenszug nur von mir selbst beschreiben. Da sich das anscheinend herumgesprochen hat, werde ich immer mal wieder gefragt, wie man bei Menschen wie mir hinter die Fassade schauen kann, denn freiwillig lassen sie einen nicht weiter an sich heran, als auf die minimale Distanz, wo sie unverletzlich und „ungenervt“ bleiben können – egal was der oder die Gegenüber tut. Meine Antwort ist allerdings immer dieselbe: Mit viel Geduld oder gar nicht.

Die Denkweise:
Eigentlich war ich eine Zeit lang der Meinung, ich müsste mich dafür entschuldigen oder rechtfertigen, dass mich so viele Sachen nicht (mehr) interessieren oder dass ich in erster Linie an mich selbst denke, aber wisst ihr was – es ist gut so wie es ist. Warum? Weil mir, um es mal deutlich zu sagen, mit steigendem Alter die Meinung Dritter am Arsch vorbeigeht. Ich bin es leid, mich mit Sachen oder Menschen auseinanderzusetzen, die negativ sind oder negativ denken und die ausschließlich von Themen erzählen, die mich nicht einmal im Entferntesten interessieren. Themen, die mich weder weiterbringen, noch mir ein Lächeln ins gelangweilte Gesicht zaubern oder sonst in irgendeiner Weise wertvoll für mich sind. Ich habe keine Lust mehr Dinge zu tun, auf die ich eigentlich gar keinen Bock habe, nur weil es der Anstand von mir verlangt.

Ebenso sind mir Stories völlig latte, die mir von Dritten über Vierte erzählt werden. Was juckt es mich, wer mit wem zusammen ist und sich gerade trennt und warum sollte ich wissen wollen, weshalb deren Beziehung nicht geklappt hat? Ich bin weder sensationsgeil, noch am Privatleben anderer Leute interessiert, die ich im schlimmsten Fall nicht einmal wirklich gut kenne. Dass es immer noch Freunde in meinem Dunstkreis gibt, die ihr ganzes Leben nach den Problemen und Ereignissen anderer richten oder sich daran aufgeilen, macht mich fassungslos und langweilt mich gleichzeitig zu Tode. Beispiel: Ich fahre aus meiner Wahlheimat Berlin in meine alte Heimat Heidelberg. Warum? Ich will ab und an mal die alten Gesichter von früher sehen. Ich fahre also 630 km in den Süden und frage meine Freunde und Bekannte, die ich immer noch wie damals in demselben Restaurant sitzen sehe, was es Neues gibt. Und schon geht es los mit „der und der hat sich von der und der getrennt“ sowie „die hat den betrogen und der hat mit einer anderen rumgemacht“ oder super interessant „die Influencerin hat das und das gepostet“. Und ich denke mir „WTF! Wayne, Alter!?“. Nach fünf Minuten sind anscheinend alle Neuigkeiten erzählt und ich frage mich ernsthaft, wieso ich denn jetzt vier Stunden da runtergefahren bin, wenn alles, was ich zu hören bekomme, Privatsachen von Dritten oder Fremden sind.

Das Problem ist, dass es sich bei diesen Leuten nicht immer nur um Bekannte handelt, sondern eben auch um (entfernte) Familienangehörige, die für mein Verhalten keinerlei Verständnis aufzubringen scheinen. In deren Augen bin ich irgendwo ein Mix aus einem Ignoranten und einem Egoisten (ein „Ignorist“ oder „Egorant“ von mir aus), der ausschließlich auf sich selbst achtet und nichts tut, was ihm nicht gefällt oder woraus er keinen Vorteil ziehen kann. Meine Zeit ist einfach zu schade, um sie mit Momenten zu verschwenden, die am Ende des Tages in der Schublade „Verschenkte Zeit“ landen. Und da diese Schublade irgendwann bis zum Überlaufen gefüllt ist, wird radikal ausgesiebt. Sehr zum anscheinenden Leidwesen meiner Bekannten, mancher Freunde und Familie. Aber hey, was solls – es ist, wie es ist.

Wie wird man dazu?
Niemand kommt als Schwarzes Schaf auf die Welt, also benötigt es viele Jahre des Genervtseins und Enttäuschtwerdens, um sich das Abzeichen „Black Sheep“ auf die Brust klemmen zu dürfen, beziehungsweise bis es soweit ist, dass wir diesen „Orden“ verliehen bekommen. Bis es soweit ist, gehen Diskussionen über unser schlechtes Verhalten einher. Man versucht uns zu ändern und uns klarzumachen, dass uns Probleme irgendwelcher Leute interessieren müssen. Sie, die Kollegen, Freunde und Familie, wollen uns bekehren und uns weismachen, dass es sich lohne, all den Schwachsinn über uns ergehen zu lassen. Wir glauben dies natürlich anfangs, denn wir wissen es nicht besser. Doch je öfter wir auf den Ratschlag der Menschen hören, die zu allem ja und amen sagen, die sich überall einmischen und alles weitertratschen, desto mehr realisieren wir, dass genau dieses Verhalten nichts für uns ist. Wir wollen nicht nett sein, nur weil man es von uns verlangt oder es angebracht zu sein scheint. Wir wollen vielmehr, dass andere Menschen realisieren, wie dämlich deren Verhalten ist und wie zeitverschwendend manche Dinge sind. Irgendwann und irgendwo habe ich einen sehr bekannten Satz zum ersten Mal gelesen, der vielleicht für alles verantwortlich sein könnte. „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Nun, etwas freiwillig hinzunehmen liegt jetzt nicht zwingend in meiner persönlichen Natur, es sei denn, es ist unumgänglich, so wie Gezeiten, Sonnenauf- und Untergang, das Warten auf den immer noch nicht fertiggestellten Berliner Flughafen oder Bufferingzeiten bei Netflix. Ich kann in den meisten Fällen auch nicht ändern, dass Menschen sind wie sie sind und das nehme ich wohl oder übel in Kauf. Aber mich mit ihnen beschäftigen muss ich nicht und so schraubte ich etwas an meiner Toleranzgrenze. Ändern konnte ich dann auf einmal Einiges und dies begriff ich relativ früh. Was ich ebenfalls begriffen habe war, dass der Grat zwischen Ignoranz, Egoismus und Selbstschutz sehr schmal zu sein scheint.

Die Frage ist, ob es erstrebenswert ist, diesen Status zu erlangen oder ob eher das Gegenteil davon der Fall ist. Fakt ist nur, dass ich Menschen um mich herum habe, die sich den halben Tag Geschichten von irgendwelchen Leuten über andere Leute anhören und dann abends total genervt oder traurig über diese Story sind. Ich frage mich, weshalb das so ist, denn es sind nicht ihre Probleme, sondern die von anderen, also scheiß doch einfach drauf! Kein Mensch hat etwas davon, wenn man abends Probleme anderer Menschen mit sich herumschleppt und dann auch noch zuhause weiter über sie nachdenkt.

Um eine Sache klarzustellen: Es gibt eine sehr geringe Anzahl von Leuten, denen man zuhören muss, denn sie stellen etwas Besonders für einen dar. Doch das ist nicht zwangsläufig Familie, sondern können auch nur die besten Freunde sein, von denen es sowieso nur wenige gibt. Bei mir sind es an der Zahl vier Personen. Hier höre ich zu, bringe mich ein und tue, was ich kann, um bei Problemen zu helfen oder ihnen unerwartete Freuden zu bereiten. Diese Dinge tue ich nicht, weil ich es muss oder es sich gehört, sondern weil es mir persönlich wichtig ist und deshalb erwarte ich auch keine Gegenleistung. Und das ist genau der Punkt an dem „Black Sheep Effect“-Dasein. Wenn man seine Energie auf so wenige Menschen aufteilen kann, dann wird aus den Aktionen etwas Gutes, etwas Lohnenswertes und etwas, wofür man abends nicht bereut Zeit investiert zu haben.

Was sind die Side-Effects?
Dass egoistisches Verhalten selten ungesühnt bleibt, liegt in der Natur der Sache. Hier trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen und es zeigt sich, wer tatsächlich hinter seinem Verhalten steht oder wer bei einer Konfrontation diesbezüglich einknickt und sich sofort fragt, ob man wahrhaftig sich selbst über alle anderen stellen sollte oder ob Friede-Freude-Eierkuchen innerhalb der Familie und Freunde Vorrang haben sollte. Es ist in Ordnung, wenn einige den leichteren Weg wählen, denn es ist deren Entscheidung. Aber es sollte ebenso in Ordnung sein, wenn man kein Rückgrat wie ein Gummibärchen hat und seine Meinung verteidigt. Koste es, was es wolle. Menschen wie diese wollen nicht gebrochen werden und es zu versuchen, wäre schlichtweg sinnlos und in äußerstem Maße kontraproduktiv. Und nur weil sie ab und an mal einen Schritt zurückgehen, bedeutet das nicht, dass sie aufgeben. Sie könnten lediglich Anlauf nehmen. Dieser Charakter-Typ ist bereits auf Konfrontation eingestellt und das wissen die anderen Leute irgendwann, weshalb sie entweder den Kontakt abbrechen oder deine Denk- und Handelsweise akzeptieren. Sei also darauf gefasst, dass dein Freundeskreis schrumpfen könnte.

Und jetzt komme ich.
Ich möchte niemandem die Empfehlung geben, nach dieser „Black Sheep“-Medaille zu suchen, wenn du kein Typ bist, der mit dem Resultat deiner Handlungen klarkommen kann, denn jede Aktion führt zu einer Reaktion. Wie der Merowinger in Matrix schon sagte: „Ursache – Wirkung“. Du wirst mehr denn je Dinge in Frage stellen und dich immer wieder mit Menschen anlegen, die um dich herum leben. Wenn es dumm läuft, riskierst du so wichtige Feiertage, Geburtstage und irgendwelche albernen Gartenpartys, denn deine Denkweise macht auch vor der Familie nicht halt und nur weil Weihnachten ist, bedeutet das nicht, dass alles in Ordnung ist. Denn du hast nicht vergessen, was die letzten Jahre passierte und einfach darüber hinwegsehen kannst du dann ebenfalls nicht mehr.
Ich für meinen Teil werde daran festhalten, denn die Zeit, die ich gewonnen habe, indem ich tue, was ausschließlich gut für mich ist, ist es wert, ab und zu anderen auf den Schlips zu treten.

In diesem Sinne – fröhliche und besinnliche Weihnachten. Wayne.


Kolumne von Daniel Heilig

Daniel Heilig

Eine AJOURE´ ohne Daniel wäre wie ein Perpetuum mobile ohne die Bedeutung der Unendlichkeit. Seit dem Gründungsjahr schrieb Daniel unzählige Artikel und gehört zu den Grundpfeilern in der AJOURE´ Men.

 

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Ajouré MEN Redaktion
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