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Kolumne: Die Geburt und der Tod Im Offline-Modus – Wovon die Welt nichts wissen sollte

Das Leben – es könnte einfach nur großartig sein, doch es ist allzu menschlich, dass wir im Laufe unseres Daseins durch diverse Formen von Höhen und Tiefen gehen. Wir können uns diese in der Regel noch nicht einmal aussuchen. Oft stehen wir einfach nur vor einem neuen Hoch oder Tief und müssen schauen, wie wir damit am besten umgehen. Dass wir für den richtigen Umgang mit Herausforderungen Erfahrung benötigen, ist völlig normal. Doch diese erlangen wir erst im Laufe des Älterwerdens und selbst mit Mitte 30 wissen wir nicht alles und stellen uns manchmal leicht dümmlich an. Ein Lebensereignis, welches früher oder später auf jeden von uns zukommt, ist entweder die Geburt des eigenen Kindes oder aber das Davonscheiden eines Familienangehörigen. Letzteres ist gar unausweichlich, doch niemand beschäftigt sich gerne mit diesem Thema. So scheint das Leben, während wir auf Erden wandeln, beinahe unendlich zu sein – bis es soweit ist und wir aus dem naiven Traum geweckt werden. Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist: Wie gehe ich mit der freudigen Geburt oder dem Ableben eines Familienmitgliedes um?

Viele Menschen scheinen vor allem eines für sehr wichtig zu empfinden – alle anderen im Freundes-, Bekannten- und Follower-Kreis am eigenen Gefühlschaos teilhaben zu lassen. Besonders jüngere Menschen nutzen diverse Onlineportale, um diese Gefühle mit der Außenwelt zu teilen. Die Frage, die sich mir stellt, ist, soll das wirklich so sein oder ist das einfach etwas, was eigentlich niemanden etwas anzugehen hat?

Täglich sterben weltweit 150.000 Menschen. Anders gesagt segnen pro Sekunde knapp zwei Personen das Zeitliche. Traurige Sache, gar keine Frage – meistens zumindest. Auf der anderen Seite erblicken pro Tag aber auch 250.000 Kinder das Licht der Erde – gar keine so traurige Sache. Wir haben pro Tag also mindestens 400.000 Menschen, die in Sachen Leben und Tod persönliche Erfahrungen machen. Gut, nun kommt eine Geburt nicht von heute auf morgen, denn in der Regel können sich die Frauen (und werdenden Väter) darauf vorbereiten. Doch der Tod kommt meist wie ein gewiefter Fuchs angeschlichen und holt sich, was ihm gehört. Und vor lauter Freude oder Trauer greifen die Leute zum Smartphone – und posten.

Ich frage mich bei diesem Thema gleich mehrere Dinge: Würde die verstorbene Person tatsächlich gerne als Foto nach ihrem Ableben auf Instagram, Facebook oder in der WhatsApp-Story herumgeistern? Will ein Neugeborenes echt schon als Influencer ins Leben starten? Die Antwort ist (meines Erachtens) immer dieselbe: Natürlich nicht! Und ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Poster, der einmal darüber nachdenken würde, zum selben Entschluss gelangt.

Ich nehme einmal Personen des öffentlichen Lebens aus meiner Gleichung heraus, denn diese waren schon zu Lebzeiten für ihr Publikum, ihre Follower und ihre Fans da. Hier ist es vollkommen logisch, dass sich Nachrichtendienste auf die Information eines Ablebens oder einer Geburt stürzen und dies online breittreten. Aber wieso tun wir als Privatperson das ebenfalls? Das ist nicht nur unpassend, sondern in den meisten Fällen auch heuchlerisch. Mehr noch, oftmals steht eine Sensationsgeilheit im Vordergrund, gepaart mit der Hoffnung auf möglichst viele Reaktionen zu dem geposteten Beitrag.

Ich will mal drei Beispiele aufmachen. Vor kurzem ist Karl Lagerfeld von allen Laufstegen dieser Welt verschwunden. Der Modeschöpfer wurde aber 85 Jahre alt – ein durchaus vertretbares Alter für den letzten Walk. Dass sich hier unsere News draufstürzen, ist vollkommen legitim. Auch Mega-Models wie Claudia Schiffer, Heidi Klum oder Naomi Campbell sei dies gegönnt, denn sie hatten hautnah mit ihm zu tun. Soweit so gut, doch nun öffne ich Instagram und sehe dutzende Möchtegern-Models, die es weder auf einen Laufsteg noch in ein Magazin geschafft haben oder je schaffen werden und gerade die tun so, als wären Karl und sie „ziemlich beste Freunde“ gewesen. Beiträge versehen mit „Ich werde dich nie vergessen“ kamen als Unterschrift aufs Bild und ich frage mich echt, ob das deren Ernst ist. Es startete also der reinste Take-Over auf Instagram und Facebook und jedes zweite Bild zeigte Lagerfeld. Gut, nun lasse ich dieses Phänomen mal als Anteilnahme durchgehen und komme zum nächsten Punkt – dem Tod eines Familienangehörigen oder Freundes.

Ist es nicht tragisch genug, wenn jemand Nahestehendes von uns gegangen ist? Natürlich trauert man um diese Person (naja meistens zumindest). Aber mal eine Frage an dieser Stelle: Was hat die Öffentlichkeit damit zu tun? Wieso muss ich einen verstorbenen Familienangehörigen auf Instagram und in die WhatsApp-Story posten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Großmutter zum einen wusste, was Instagram ist, noch dass sie wollen würde, dass alle Welt von ihrem Ableben erfährt. Ihr solltet eure Trauer mit Menschen ausleben und teilen, die der Person nahestanden. Und zwar im echten Leben und nicht online. Oder braucht ihr es tatsächlich, dass sämtliche Follower euch ein „Mein Beileid“ schicken und so tun, als würde sie es persönlich berühren? Wie kann man so einen Anlass als Nachrichten-Magnet benutzen wollen? Benötigt ihr wirklich die Anteilnahme der ganzen Welt, um eure Trauer ausleben zu können?

Genau so verhält es sich mit der Geburt von Kindern. Natürlich ist das ein tolles Ereignis. Aber muss ich meine Frau, Freundin oder Bekannte frisch nach der Geburt fotografieren und das Bild dann auch noch uploaden? Vielleicht mit dem Hashtag #frischgepresst? Müssen Säuglinge und Kinder in sozialen Medien gezeigt werden? Es ist selbstredend, dass die Eltern und Großeltern mächtig stolz auf den Nachwuchs sind, aber in der Welt, in der wir leben, haben (Klein-)Kinder online nichts verloren. Heute lassen viele Eltern die Kinder nicht mehr taufen, sondern warten, bis die Kinder alt genug sind, um selbst zu entscheiden, ob sie getauft werden wollen oder nicht. Wieso warten die Eltern nicht, bis die Kids entscheiden, ob sie ein Bild in Windeln von sich auf Instagram verewigt sehen wollen? Da nützt es übrigens auch nichts, wenn ihr euerm Kind einen seltsam deplatzierten Smiley übers Gesicht bastelt, damit die Außenwelt das Gesicht nicht erkennen kann. An dieser Stelle hätte ich gerne den Smiley, der sich die Hand auf die Stirn klatscht…

Es ist irgendwie pervers, dass wir verlernt zu haben scheinen, private schöne und traurige Dinge ausschließlich mit uns selbst und unserer Familie auszumachen und stattdessen auf der Suche nach Likes die Öffentlichkeit miteinbeziehen.


Kolumne von Daniel Heilig

Daniel Heilig

Eine AJOURE´ ohne Daniel wäre wie ein Perpetuum mobile ohne die Bedeutung der Unendlichkeit. Seit dem Gründungsjahr schrieb Daniel unzählige Artikel und gehört zu den Grundpfeilern in der AJOURE´ Men.

 

Foto: moomsabuy, svetlanasmirnova / stock.adobe.com

Ajouré MEN Redaktion
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