Wohl jeder Mensch hat in seinem Leben schon einmal eine peinliche Situation erlebt. Der offene Hosenstall, der uns erst nach dem wichtigen Meeting auffällt. Petersilie zwischen den Zähnen, die wir erst bemerken, nachdem die Kollegen lachen. Eine ungewollt blöde Bemerkung, das anschließende Schweigen im Raum. Man schämt sich für das, was man gesagt oder getan hat, wie man in einer bestimmten Situation ausgesehen oder auf andere gewirkt hat. So unangenehm es in der betreffenden Situation auch sein mag: Scham ist ein völlig natürliches Gefühl. Problematisch wird Scham nur dann, wenn Schamgefühle allgegenwärtig sind und Betroffene daran hindern, ihren Alltag frei und selbstbestimmt zu leben.
Was ist überhaupt Scham?
Wie wir Menschen uns verhalten, wird in erster Linie von unseren Gefühlen bestimmt. So hat auch das Gefühl von Scham einen großen Einfluss auf unser Handeln und auf unsere Sichtweise der Welt. Scham reguliert nicht nur den Menschen in seinem Trieben, sondern verhindert so auch, dass man aus der sozialen Gemeinschaft herausfällt. Nicht umsonst fühlt man sich beschämt, wenn man eine Situation erleben musste, in der man sich abgelehnt gefühlt hat. Wer sich schämt, hat meistens gerade erfahren, dass sein Handeln nicht mit dem konform geht, was die meisten Menschen als normal empfinden.
Die meisten Menschen wollen sich sicher in der Gemeinschaft anderer bewegen, wollen nicht negativ auffallen. Geschieht dies doch, reagiert auch der Körper. Viele Menschen, die häufig mit Schamgefühlen zu tun haben, kennen Hitzewallungen oder ungewolltes Erröten, was den Körper zudem noch in einen Stresszustand versetzt. Schon die Furcht vor diesen körperlichen Reaktionen, die mit dem Gefühl von Scham verbunden sind, kann Betroffene in eine soziale Isolation treiben. Sie meiden andere, um nicht erneut negativ aufzufallen, um sich selbst das Gefühl, beschämt worden zu sein, zu ersparen.
Welche Formen von Scham kann man unterscheiden?
Psychologen unterscheiden zwei grundsätzliche Typen von Scham. Scham kann zum einen der sozialen Anpassung dienen. Gefühle von Scham, die man in einer bestimmten Situation erlebt, zeigen deutlich, dass gerade sozial anerkannte Regeln verletzt worden sind. Ein unpassender Witz in einer Trauersituation beispielsweise wird schnell zu betretenem Schweigen führen, ebenso eine unpassende Bemerkung über einen Kollegen, die diesem dann zugetragen worden ist.
Aus solchen Erfahrungen kann man lernen und wird sich in vergleichbaren Situationen mehr vorsehen, vielleicht nicht mehr vorschnell reden, Dinge genauer vor einem Urteil hinterfragen. Schon Kinder lernen so die sozialen Regeln der Welt kennen. Scham kann also eine durchaus notwendige Erfahrung sein, um das eigene Verhalten mit dem der anderen abzugleichen und sich sozial anzupassen. Eine andere Form von Scham hilft uns, eine persönliche Identität zu entwickeln und die persönliche Integrität zu wahren. In Situationen, in denen man sich schämt, erfährt man auch gleichzeitig viel über sich selbst. Man lernt die persönlichen Grenzen kennen und achten. Was als beschämend empfunden wird, kann dabei ebenso unterschiedlich sein wie der Umgang mit Scham. Auch ein gutes Selbstgefühl und daraus resultierend ein gesundes Selbstbewusstsein können aus Erfahrungen mit Schamgefühlen resultieren.
Ist Scham etwas Krankhaftes?
Scham hat keinen Krankheitswert, solange diese Empfindung nicht den Alltag bestimmt. Vielmehr können erlebte Schamgefühle auch positive Aspekte haben. Scham fördert Empathie, also die Fähigkeit, sich in Dritte hineinzuversetzen. Ebenso hilft ein gesundes Schamgefühl dabei, sich dessen bewusst zu werden, was einem selbst guttut und was nicht. Wer sich beispielsweise ständig für andere „fremdschämen“ muss, tut gut daran, Kontakte zu betreffenden Menschen zu reduzieren. Zum Problem wird Scham dann, wenn sie im Übermaß oder gar nicht vorhanden zu sein scheint.
Ständige Schamgefühle
Menschen, die ständig mit Schamgefühlen kämpfen müssen, erleben ihren Alltag als bestimmt von negativen Emotionen. Die ständige Furcht, als unangenehm aufzufallen, bestimmt das Leben und verhindert eine gesunde Entwicklung der Persönlichkeit.
Jeder Mensch ist anders und Unterschiede damit eher die Regel als die Ausnahme. Somit wird es immer wieder Situationen geben, in denen man sich seiner Individualität stärker bewusst wird. Während die einen das als ganz normal erachten, können Menschen mit großen Schamgefühlen dies oftmals nicht ertragen. Betroffene wollen einerseits als Individuum gesehen und anerkannt werden, fürchten aber gleichzeitig in einer extremen Art und Weise, als Persönlichkeit aufzufallen und eventuell negatives Feedback zu bekommen. Besonders gilt dies für Bereiche des Lebens, die animalische Züge haben: Nahrungsaufnahme, Verdauung und Sexualität.
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