Ajoure Lifestyle Unterhaltung El Silbón, der Pfeifer: Alles über die kolumbianische Legende und ihren Hintergrund

El Silbón, der Pfeifer: Alles über die kolumbianische Legende und ihren Hintergrund

Wenn ein lautes Pfeifen durch die Nacht hallt, die Melodie dann absteigt und in einem leise jammernden Halbton endet, wird in den ländlichen Gebieten Kolumbiens auch der Tapferste die Beine in die Hand nehmen. Denn mit diesem Pfeifen kündigt sich El Silbón an, ein schrecklicher Knochenmann, der den Tod bringt.

Was es mit dem Mythos auf sich hat und wie du dich selbst vor dem pfeifenden Unwesen schützen kannst, sollte dein Weg dich in die Region von Los Llanos führen, haben wir im Folgenden für dich zusammengefasst.

Vom Vatermörder zum Frauenrächer: der Mythos vom Pfeifer (mit einem f)

Seit dem 19. Jahrhundert treibt der Pfeifer sein Unwesen in den Llanos, den von Viehhirten und Pferdezüchtern bewohnten Gebieten Kolumbiens und Venezuelas.

Der Sage nach handelte es sich ursprünglich um einen verwöhnten jungen Mann, dem die eigenen Eltern keinen Wunsch abschlagen durften, um seinen Jähzorn nicht zu provozieren.

Als es den Halbstarken nach Wildfleisch gelüstete, schickte er seinen Vater auf die Jagd, die aber erfolglos verlief. Voller Zorn soll der Sohn dem Vater daraufhin die inneren Organe herausgeschnitten und von der Mutter verlangt haben, dass sie ihm daraus eine Mahlzeit zubereitet.

Die Mutter aber roch den Braten und der Sohn wurde auf Veranlassung des Großvaters öffentlich ausgepeitscht, gefoltert und verflucht. Seitdem zieht er mit einem Sack voller Knochen und zwei Geisterhunden im Gepäck durch die dürren Sommernächte, um Säufer, Frauenschläger, aber auch unschuldige Menschen zu töten.

Dass er sich in deiner Nähe aufhält, erkennst du an seinem charakteristischen Pfeifen, das den nahenden Töter ankündigt: Die Melodie steigt vom Grundton C bis zur Subdominante F, wird dann aber nicht aufgelöst, sondern bis zum Halbton B wieder hinabgeführt.

Eine Besonderheit dabei ist: Hörst du das Pfeifen laut, bist du (noch) in Sicherheit. Wird das Pfeifen leiser, solltest auch du schleunigst die Beine in die Hand nehmen!


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Ursprung und Weiterentwicklung der kolumbianischen Legende

El Silbón Statue

Der Ursprung der Legende, von der zahlreiche Varianten existieren, wird im kolumbianischen Flachland vermutet. Der schmähliche Ruhm des Pfeifers aber reicht bis nach Venezuela. In beiden Ländern sitzen die Viehzüchter noch heute am Lagerfeuer zusammen und lauschen den schaurigen Erinnerungen der Alten.

Bis einer erschreckt aufhorcht: Hat nicht gerade etwas geraschelt? Lauert da nicht ein meterhohes Schattenwesen im Baum? War nicht soeben ein leises Pfeifen zu hören?

Bevor die Angst sie übermannen kann, stimmen die Llaneros rasch eines ihrer sagenhaften Lieder an. Eine kleine Gruppe schaut nach dem Vieh, Frauen greifen nach den Fackeln, um die Umgebung auszuleuchten. Bis es Entwarnung gibt. Und einer von den Alten die spannungsgeladene Geschichte weitererzählt.


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Aussehen und Erscheinen des Pfeifers

Denn in Los Llanos kennt jeder mindestens eine Person, die dem Pfeifer schon einmal begegnet sein will. Deshalb weiß man auch ziemlich genau, wie er aussieht. Mehrere Meter groß ist er und dürr. Seine Farmerkleidung ist zerschlissen, sein breitkrempiger Hut hängt schlapp über buschigen Augenbrauen. Auf dem Rücken trägt er einen mit Knochen gefüllten Sack, in der Hand hält er seine Pfeife, von der die eisige Melodie des Todes ertönt.

Meist stürzt er aus einem Baum auf seine Opfer herab, möglich ist aber auch, dass er nachts im Türrahmen erscheint, seine Knochen zählt und die Sammlung durch ein neues Opfer erweitert. Man weiß es nicht genau. Umso mehr muss man auf der Hut sein – insbesondere in der Hitze der Sommernächte, wenn die Fenster und Türen weit geöffnet sind, um wenigstens einen kleinen kühlenden Luftzug hereinzulassen.


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Hintergrund: reale Begebenheit und mythische Elemente

So variantenreich die Legenden von El Silbón sind, so vielfältig sind auch die Vermutungen über die reale Person, von der sie erzählen. Darin ist die Rede von einem Farmer, der wahlweise seine Ehefrau oder Mutter vor den sexuellen und gewalttätigen Übergriffen des eigenen Vaters schützen wollte, indem er ihn tötete.

Andere Sagen berichten dagegen von einem eifersüchtigen, jähzornigen oder versoffenen Schläger, der in den Llanos lebte und von seinem Großvater fortgejagt und verflucht wurde. Zuvor ließ er ihn auspeitschen, Chili in seine Wunden reiben und hetzte seine Hunde auf ihn, was der Grund dafür sein soll, dass der Pfeifer nichts so sehr fürchtet wie eine Chilischote und Hundegebell.

Tatsächlich scheint sich die ursprüngliche Geschichte dann mit weiteren Symbolen und mythischen Elementen verwoben zu haben. Der Vatermord gehört wohl zu den bekanntesten mythologischen Motiven. Und der Pfeifton ist der nordischen Mythologie nach nicht nur ein Mittel, mit dem sich die Verstorbenen ankündigen, auch im „Rattenfänger von Hameln“ kündigt er das Unheil an.

So unterschiedlich die Geschichte dann auch weitergesponnen wurde, eines ist sich immer gleich geblieben: Die große Angst, die ein nächtlicher Pfeifton in Los Llanos noch heute in den Bewohnern auslöst. Denn anders als Ödipus nahm sich der Pfeifer nicht selbst das Augenlicht, sondern zieht noch heute mordend durch die abgelegenen Gegenden von Los Llanos.


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Du planst eine Reise nach Südamerika? Wir verraten, wie du dich vor El Silbón schützen kannst!

Du hattest für diesen Sommer eigentlich eine Reise nach Südamerika geplant und bist bereits kurz davor, sie abzusagen? Flieg einfach trotzdem! Denn jede mythische Figur hat ihre Achillesferse oder lässt sich mit ein wenig Hintergrundwissen auch von ungeübten Kämpfern besiegen!

Die erste und wichtigste Regel lautet: Solltest du nachts das beschriebene Pfeifen hören, achte auf die Lautstärke und richte deine Laufrichtung danach aus. Wird es lauter, bist du auf einem guten Weg, wird es leiser, solltest du unbedingt umkehren.
Um dich vor El Silbón zu schützen, kannst du zudem auf übermäßigen Alkoholkonsum verzichten. Und Frauen schlägst du hoffentlich ohnehin nicht.

Hast du dann noch eine Chilischote in der Tasche oder nimmst du gar deinen Hund mit auf Reisen, kann dir eigentlich nichts passieren. Es sei denn, du lässt dich an einem Lagerfeuer mit Fremden nieder, die so schaurig schön von El Silbón erzählen, dass deine Fantasie mit dir durchgeht. Dann solltest du vorweg vielleicht schon mal ein paar Lieder einüben, mit denen du dir selbst Mut ansingen kannst.

Fazit: Was ist wahr an der Legende von El Silbón?

Ob und in welcher Version die Legende wahr ist, können wir abschließend nicht beurteilen. So wenig wie die Frage, ob der Pfeifer wirklich noch durch die Gegend geistert oder mittlerweile seinen Frieden in einem Baumwipfel gefunden hat.

Schließlich erschöpft sich gerade die Welt der Mythen, Sagen und Legenden nicht im Faktischen. Und was man nicht selbst gesehen hat, davon kann man auch nichts wissen.

Sicher ist aber, dass die Legende von El Silbón ein Paradebeispiel dafür ist, wie Volkssagen aufgebaut sind und wie sie weiterleben – über alle Versuche der Aufklärung hinweg. Und dass die Moral der Geschichte, in welcher Variante sie auch erzählt wird, so schwer nicht zu verstehen ist: Gewalt lässt sich mit Gewalt nicht besiegen.

 

Bilder: Storied / YouTube

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